Macht hoch die Tür, die Tor macht weit: Frank-Walter Steinmeier macht sich bereit für die nächste Weihnachtsansprache. Foto: ZB/Soeren Stache

Alle Jahre wieder: Am 25. Dezember spricht der Bundespräsident via TV-Kamera zum Volk. Das Ritual hat mal für Langeweile, mal für Aufhorchen gesorgt. Die Ansprache von Gustav Heinemann von 1970 liest sich erstaunlich aktuell.

Berlin - Auf die Idee, zum Fernsehen zu gehen, brachte Hape Kerkeling „kein namhafter Entertainer oder schillernder Filmstar“, sondern der trockene Bundespräsident Gustav Heinemann. 1970 hat der sechsjährige Hans-Peter dessen Weihnachtsansprache gesehen und will damals zu seiner Mutter gesagt haben: „Wenn ich groß bin, will ich ins Fernsehen!“ So schrieb es Kerkeling in seinem auch verfilmten Bestseller „Der Junge muss an die frische Luft“. 1970, also vor 50 Jahren, sprach erstmals der Bundespräsident zu Weihnachten, der Regierungschef dann erst am Silvesterabend zum neuen Jahr.

Von 1949 bis 1969 war es umgekehrt gewesen. Der Bundeskanzler redete zum Fest und der Bundespräsident an Silvester. Heinemann und Kanzler Willy Brandt einigten sich ab 1970 darauf, die Termine zu tauschen.

Auch die Queen spricht zum Volk

Dass das Staatsoberhaupt zum Weihnachtsfest redet und nicht der Regierungschef, passt auch besser ins internationale Bild. In vielen Ländern nämlich sprechen zu Weihnachten Könige zum Volk. Am berühmtesten ist die Ansprache der Queen. Die britische Monarchin ist bekanntlich auch das weltliche Oberhaupt der Church of England. Die Tradition der Royal Christmas Message begann in Großbritannien 1932 mit einer Rundfunksendung von König Georg V., dem Opa von Elizabeth II. (94).

In Deutschland ging die erste Weihnachtsansprache bereits 1923 live über den Äther. Den Rundfunk gab es da überhaupt erst ein paar Monate. Nicht Reichspräsident Friedrich Ebert, sondern der Reichskanzler Wilhelm Marx von der katholischen Zentrumspartei - mit insgesamt drei Jahren und einem Monat der am längsten amtierende Kanzler der Weimarer Republik - dankte in der Rede dem Ausland für die Unterstützung der Notleidenden. Nach dem Ersten Weltkrieg lag die deutsche Wirtschaft noch am Boden, die Hyper-Inflation machte der Republik zu schaffen.

Ein Appell gehört dazu

Bis heute laufen fast alle Weihnachtsansprachen gleich ab. Kritikern gelten sie als ein Festival der Floskeln. Dennoch haben sie alle ihren eigenen Schwerpunkt. Zunächst blickt das Staatsoberhaupt auf die letzten zwölf Monate. Dann werden einige Schwierigkeiten erwähnt. Am Ende folgt ein Appell, meist mit Bezug zum christlichen Fest.

Letztes Jahr formulierte Frank-Walter Steinmeier: „,Fürchtet Euch nicht!’, heißt es in der Weihnachtsgeschichte. Mut und Zuversicht – das wünsche ich Ihnen und uns allen für das kommende Jahr.“ Und im Jahr 2000 sagte Johannes Rau: „Das Kind im Stall von Bethlehem erinnert uns daran, dass wir nicht aus uns selber leben.“ Zuwendung und Mitmenschlichkeit seien unbezahlbar.

Stehend oder sitzend?

In der Anrede gibt es Unterschiede. Vor fünf Jahren sagte Joachim Gauck „Guten Abend aus dem Schloss Bellevue“. Er erinnerte 2015 an die vielen Flüchtlinge. Und er dankte den Helfern: „Sie alle sind zum Gesicht eines warmherzigen und menschlichen Landes geworden.“

Vor zehn Jahren - 2010 - geschah ein kleines Weihnachtswunder: Jahrzehntelang hatten die Staatsoberhäupter ihre frohe Botschaft hinterm Schreibtisch verkündet. Christian Wulff hielt seine Ansprache erstmals im Stehen. „Wissen Sie, was die meisten Kinder von ihren Eltern gern hätten? Mehr Zeit.“

Vor 15 Jahren sagte Horst Köhler, 2005 sei es in Deutschlands Politik „stürmisch“ zugegangen, doch jetzt gebe es die große Koalition. „Und unser Land hat zum ersten Mal eine Bundeskanzlerin.“

Weniger Rücksichtslosigkeiten, bitte

Vor 25 Jahren wünschte Roman Herzog „allen, die Sie in unserem Lande leben“ ein frohes Fest: „Mitmenschlichkeit fängt im Kleinen an, mit einem Lächeln oder einer ausgestreckten Hand, ja schon mit dem Unterlassen einer der üblich gewordenen Rücksichtslosigkeiten - am Arbeitsplatz, beim Einkauf oder im Straßenverkehr.“

Vor 30 Jahren, beim ersten Fest nach der Wiedervereinigung, freute sich Richard von Weizsäcker, dass die „Zwangsordnung des Kalten Krieges“ überwunden sei. Er mahnte: „Staat und Währung können nicht alles schaffen. Das Entscheidende bringen wir Menschen am besten selbst zustande.“ Zuvor hatten die Bundespräsidenten jahrzehntelang die Teilung vor Augen. „Warum spreche ich am Weihnachtstag zu Ihnen?“, fragte zum Beispiel 1975 Walter Scheel. „An diesem Tage kommen getrennte Familien zusammen. Auch in unserem geteilten Deutschland. Viele unserer Bürger fahren in die DDR, manche Bürger der DDR kommen zu uns. Weihnachten vereinigt das Getrennte.“

Streit nutzt der Demokratie

Auch vor 50 Jahren, in der ersten präsidialen Weihnachtsansprache der Bundesrepublik, sprach Gustav Heinemann über die staatliche Trennung, darüber, dass viele Bürger in Gedanken bei den Menschen „jenseits von Elbe und Werra“ seien. Heinemann plädierte außerdem für mehr Rücksicht gegenüber Behinderten und kam schließlich auf die harten politischen Auseinandersetzungen des Jahres 1970 zu sprechen.

Er werde oft gebeten für Ruhe und Ordnung zu sorgen, so der Präsident. „Das kann ich nicht und das will ich nicht“, stellte Heinemann klar. Demokratie unterscheide sich „von Regierungssystemen, in denen eine scheinbare Einigkeit des Volkes von oben erzwungen wird“. Streit könne der Demokratie auch nutzen, betonte der 71-Jährige. Allerdings: „Verteufelung des Gegners, Beschuldigung Andersdenkender als Verräter bis hin zu Morddrohungen sind grobe Entartungen, die unsere Grundordnung aufs Spiel setzen.“