Christian Wagner liebte Tiere, Pflanzen, Worte und Menschen. Foto: Christian-Wagner-Gesellschaft

Die Christian-Wagner-Gesellschaft Warmbronn feiert am Sonntag ihr 50-jähriges Bestehen. Ihr Ziel: eine Werkausgabe des fast vergessenen Dichters.

In einer der schönsten Tiergeschichten über Christian Wagner spielen drei Gänse die Hauptrollen: Anno 1876 rettete der Warmbronner Dichter das Federvieh vor dem ihm zugedachten Mast-und-Schlacht-Schicksal, indem er die Tiere einem Gastwirt abkaufte. Daraufhin folgten die drei Gänse dem Tierschützer 35 Jahre lang durch den Ort.

Und dann gibt es da diese Geschichte von einem Raben, der aus seinem Nest gefallen war: Wagner zog ihn auf, und der Vogel dankte es seinem Retter später mit regelmäßigen Besuchen. Nachdem ein Bauer mit seinem Gewehr die anrührende Mensch-Tier-Verbindung unsanft beendet hatte, stopfte Wagner den toten Raben aus: Noch heute ist der Rabe in der ehemaligen Stube des Dichters zu sehen.

Schonung alles Lebendigen

„Christian Wagners Lebensmaxime hieß ,Schonung alles Lebendigen‘“, sagt Axel Kuhn, der Vorsitzende der Christian-Wagner-Gesellschaft (CWG), „das hat er selbst vorgelebt und in seinen Werken verbreitet.“ Besagte Schonung habe sich auf die Pflanzen- und Tierwelt und auf Menschen bezogen, sagt Kuhn, emeritierter Professor für Neuere Geschichte an der Uni Stuttgart: „Das ist der Punkt, der Christian Wagner heute noch interessant macht – seine Mahnung, mit den Ressourcen schonend umzugehen, zeichnet ihn aus.“

Christian Wagner hatte Sätze wie diese geschrieben: „O grässlicher Irrtum der Menschen, zu wähnen, dass die Tierwelt nur um ihretwegen da sei und folglich rücksichtslos verbraucht werden dürfe. Jedes Wesen ist vor allem nur da, um sich seines Daseins zu freuen.“ Auch seine Lyrik klingt zum Teil heute verblüffend aktuell: „Lasset euch künden: / Es soll verschwinden / die Qual der Erde, dass Friede werde“, lautet eines seiner Gedichte.

Des Dichters Feld- und Waldarbeit

Es erschien in Christian Wagners Buch „Sonntagsgänge, 2. Teil“ anno 1887. Im selben Jahr wurde seine Tochter Luise Christiane geboren, die – anders als seine ersten drei Kinder – älter als nur ein paar Wochen wurde und erst als Erwachsene starb. Der Tod wich dem Dichter, insbesondere dem jungen, nicht von der Seite: Am Tag nach der Geburt seines ersten Sohnes starb Wagners Mutter und drei Wochen später auch das Kind. Wagners erste Frau starb bei der Geburt seines zweiten Sohnes, der nur neun Monate alt wurde.

Aber Christian Wagner, 1835 in Warmbronn geboren und 82 Jahre später ebendort gestorben, ließ sich weder vom Tod brechen, noch von der Armut. Stattdessen gelang es dem Sohn eines Schreiners und Nebenerwerbs-Landwirts, schreibend am Leid zu wachsen. Weil für die Ausbildung zum Lehrer das Geld fehlte, verließ Wagner mit 14 die Volksschule, um sich auf dem Feld zu verdingen. Er half in der elterlichen Landwirtschaft, arbeitete im Winter als Holzfäller und später auch mal beim Bau der Eisenbahnstrecke. In den Pausen schrieb er Gedichte. Über eines von ihnen urteilte Karl Kraus: „Es wird in deutscher Sprache nicht viele Wunder von der Art der dritten und der letzten Strophe des Gedichtes ,Syringen’ geben.“

Das Ziel ist die Werkausgabe

Aber anders als seine ihn wertschätzenden Zeitgenossen Karl Kraus, Kurt Tucholsky und Hermann Hesse schaffte es Christian Wagner, der sich selbst schon früh als „Sonderling“ empfand, weder in den Literaturkanon der Nachttische noch in jenen der Universitäten. Der Hauptgrund sei: „Es ist nicht gelungen, eine Werkausgabe seiner Texte herauszubringen.“

Das sagt Axel Kuhn, der Vorsitzende der CWG, die an diesem Sonntag um 11.15 Uhr mit einer Jubiläumsfeier in der Warmbronner Rolf-Wagner-Halle ihr 50-jähriges Bestehen begeht. „Bis 1972 gab es keine Möglichkeit, Wagners Texte lesen zu können“, erzählt Kuhn, der bei der Feier die jüngste Neuerscheinung, Wagners „Sonntagsgänge, 2. und 3. Teil“, präsentieren will. Das Hauptziel der CWG bestehe darin, alle elf Bücher des Dichters in zeitgemäßer Aufmachung herauszugeben.

Auch wenn die akademische Aufbereitung von Wagners lebensumarmenden Werken nicht recht in Gang kommen sollte, so setzte doch bereits vor 1900 eine Art Fantourismus nach Warmbronn ein: Intellektuelle, Lebensreformer, Natur- und Literaturfreunde unternahmen Ausflüge in Wagners Dorf. Der Dichter dankte es ihnen mit eigenbrötlerischer Widerständigkeit: Er lehnte Gift gegen Ungeziefer ab, weil er sich weigerte, zwischen so genannten Nutztieren und Schädlingen zu unterscheiden. Er enthielt seine Kühe dem Metzger vor und protestierte gegen die Singvogel-Jagd.

Seine frühe Tier-und-Naturschutz-Agenda war mit einem ausgeprägten sozialen Gewissen verbunden: Der zeitlebens in bescheidenen Verhältnissen lebende Mann mit dem kaiserlichen Backenbart setzte sich für Arme und Ausgestoßene ein – und der Pazifist widerstand bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges der Waffenbegeisterung anderer. „Er fühlte die tiefe Zusammengehörigkeit zwischen Tier, Mensch und Pflanze, Stein und Stern. Und er liebte das alles“, schrieb Kurt Tucholsky über Christian Wagner, „er war ein in sich gekehrter Künstler und wohl wert, dass wir ihn alle läsen und verehrten.“