Knapp 2900 Kilometer ist es von der Oberfläche bis zum äußeren Erdkern. Bisher ist der Mensch aber nur etwas mehr als 12 Kilometer tief vorgedrungen. Foto: Imago/Depositphotos

Weltrekord: Geologen haben einen 1268 Meter langen Bohrkern aus dem Erdmantel gewonnen. Das aus dem Inneren unseres Planeten beförderte Gestein birgt bisher unentdeckte Geheimnisse.

Man sagt, der Mond sei besser erforscht als die Tiefsee. Das mag stimmen. Ganz sicher aber stimmt, dass das Erdinnere für uns Bewohner dieses Planeten eine „Terra incognita“ – ein unbekanntes Land – ist.

Nicht das dort in riesigen Höhlensystemen Drachen und andere Fabelwesen hausten. Oder wie Griechen und Römer glaubten, dass sich tief unter unseren Füßen die Unterwelt Erebos oder der Hades befänden. Der Fährmann Charon brachte den Reisenden nach Empfang der Begräbnisriten und einer Geldmünze (Obolus) über den Fluss Styx oder Acheron, der die Ober- von der Unterwelt trennt.

Fahrt in die Unterwelt: Der Fährmann Charon bringt den Dichter Dante Alighieri über den Styx, der die Ober- von der Unterwelt trennt (Druck aus der Holzstichsammlung von Gustave Doré zu Dantes „Göttliche Komödie“/„Divina Commedia“ von 1861). Foto: Imago/Heritage Images

Tiefenbohrungen: Kratzen an der Erdoberfläche

Wie tief unter der Erde die mythische Unterwelt liegt, wusste man in der Antike auch nicht. Heute ist man dank wissenschaftlicher Geologie und Geophysik schlauer. Nur knapp 2900 Kilometer ist der Erdkern von der Oberfläche entfernt. Eine Strecke, die viele von uns bei einer Urlaubsreise locker mit dem Flugzeug zurücklegen. Doch zugänglich sind für uns Menschen nur wenige Kilometer nahe der Erdoberfläche, und auch diese nur mit extrem hohem Aufwand.

Dieser Bohrkern ist außergewöhnlich: Er ist 1268 Meter lang und enthält unverfälschtes Gestein aus dem Erdmantel. Foto: © Johan Lissenberg

Allein die äußere Hülle, die Erdkruste, ist 5 bis 70 Kilometer dick. Zwar ist das gering im Vergleich zum 2900 Kilometer dicken Erdmantel und dem 6942 Kilometer dicken Erdkern. Doch selbst unser Wissen über die Erdkruste ist bescheiden.

Über die einzelnen Schichten, aus denen unser Planet im Inneren aufgebaut ist, haben wir nur indirekte Informationen. Selbst die bisher tiefste Bbohrung aus dem Jahr 1979, die Kola-Bohrung, drang nur bis in etwa zwölf Kilometer Tiefe vor.

Die Kola-Bohrung ist eine von 1970 bis 1992 zu wissenschaftlichen Zwecken durchgeführte ultratiefe geologische Bohrung auf der russischen Halbinsel Kola. Sie erreichte 12 262 Meter Tiefe (1989) und ist die tiefste Bohrung der Welt. Foto: Imago/Itar-Tass

Bisher nur unzureichendes Probenmaterial

Der Erdmantel liegt tief unter unseren Füßen. Selbst unter den Meeren mit ihrer dünneren ozeanische Erdkruste fängt er erst in fünf bis sieben Kilometer Tiefe an – zu tief für jeden Bohrer.

Die meisten Proben von Mantelgestein stammen daher entweder aus Vulkangebieten, in denen Mantelmaterial bei Eruptionen zutage tritt, oder aber vom Meeresgrund in der Nähe der mittelozeanischen Rücken. In beiden Fällen liegt das Mantelgestein jedoch nur in einzelnen Brocken vor.

„Diesen Proben fehlt daher der Kontext, die räumliche Kontinuität und die Information über ihre ursprüngliche Orientierung“, erklären C. Johan Lissenberg von der Cardiff University in Wales und seine Kollegen.

Die Erde hat einen Radius von 6371 Kilometern - also einen Durchmesser von 12 742 Kilometern. Foto: Imago/Pond5 Images

Unverfälschtes Mantelgestein

Nun aber ist Forschern ein bedeutsamer Schritt gelungen. Zum ersten Mal haben Geologen einen ganzen Bohrkern mit intaktem, nahezu vollständig in seiner Struktur erhaltenem Mantelgestein gewonnen.

Dieser Dünnschliff zeigt Minerale des Mantelgesteins aus dem Bohrkern. Die Zusammensetzung liefert wertvolle Hinweise auf die in der Tiefe ablaufenden geologischen Prozesse. Foto: © Johan Lissenberg
Lage des Atlantis-Massivs und des Lost-City-Hydrothermalfelds am Mittelatlantischen Rücken. Foto: © NOAA/CC-by 2.0

Lost City mitten im Atlantik

Dem Team um Lissenberg gelang dies auf einer Expedition mit dem Bohrschiff „JOIDES Resolution“ zum Atlantis-Massiv am Mittelatlantischen Rücken. Dort liegen die als Lost City bekannten hydrothermalen Schlote. Außerdem haben Faltungen Formationen aus dem in geringer Tiefe liegenden Erdmantel zutage gefördert.

Die Studie ist im Fachmagazin „Science“ veröffentlicht worden.

1268 Meter langer Bohrkern aus Mantelgestein

Diese unterseeischen Gesteinsformationen haben die Wissenschaftler angebohrt und mit einem 1268 Meter langen Bohrkern aus diesem Mantelgestein eine neuen Rekord erreicht.

„Die Tiefe von U1601C übertrifft alle früheren Versuche, ozeanisches Mantelgesteine zu erbohren“, schreibt das Team. Auf rund 71 Prozent der Bohrkernlänge seien die Mantelgesteine unversehrt und lägen in ihrer ursprünglichen Abfolge und Struktur vor.

Am nächsten kommt der Erdmantel der Oberfläche an den mittelozeanischen Rücken. Foto: © 37ophiuchi/CC-by-sa 4.0

Unerwartete geologische Zusammensetzung

„Dass wir dieses Gestein bergen konnten, ist eine bedeutende Errungenschaft in der Geschichte der Geowissenschaften“, unterstreicht Lissenberg. „Aber der wahre Wert dieser Mantel-Bohrkerne liegt darin, was sie uns über die Struktur und die Entwicklung unseres Planeten erzählen können.“

Der Bohrkern stellt ein unverfälschtes Abbild aus dieser Region des Erdmantels dar. Über die Länge des Kerns wurden zahlreiche geologische Veränderungen dokumentiert, die von den komplexen Vorgängen unter der Oberfläche zeugen.

Besonders interessierte sich das Team dafür, wie Wasser mit dem Mantelmaterial reagierte. Wasser dringt tief in den Erdmantel ein und erzeugt dort aus den vorhandenen Mineralien Olivin und Pyroxen ein Material namens Serpentinit. Solche Vorgänge wurden tatsächlich bis in die größte Tiefe gefunden.

Überraschende Einblicke in Erdmantel

Noch sind die Analysen des Bohrkerns nicht abgeschlossen. Das Forscherteam erwartet daher noch weitere wichtige Erkenntnisse und Einblicke. Jahrzehntelange Probeentnahmen des Meeresbodens durch Bagger hätten ein sehr viel groberes mineralogisches Bild des Erdmantels gezeichnet, so die Geologen.

„Doch jede neue Bohrung offenbart überraschende Einblicke in den Mantel und die Bildung der ozeanischen Kruste.“ Ehrgeizigere Bohrprojekte würden wichtige Teile zum Verständnis der biogeochemischen Auswirkungen des ozeanischen Mantels offenbaren.

Info: Geologie der Erde

Schalenaufbau
Geologisch betrachtet ist die Erde aus drei Schalen aufgebaut: dem Erdkern, dem Erdmantel und der Erdkruste. Knapp 71 Prozent der Oberfläche des Blauen Planeten sind von Wasser bedeckt. Der Rest ist – wie ein Kuchen mit Puderzucker – mit einer Bodenkruste überzogen. Einer wenigen Millimeter bis einige Meter dünnen Schicht, die Geologen auch als Pedosphäre bezeichnen (von griechisch „pédon“, Erdboden). Sie breitet sich überall dort zwischen der Gesteinsschicht (Lithosphäre) und Biosphäre aus, wo nicht nackter Feld zutage tritt.

Erdkern
In der Tiefe der Erde ist die Hitze ihres planetarischen Geburtsvorgangs erhalten geblieben. Dies sorgt im inneren Erdkern für Temperaturen von 5000 bis 6000 Grad Celsius – so heiß wie auf der Oberfläche der Sonne. Der Erdkern hat einen Radius von circa 3500 Kilometer und besteht aus Eisen und Nickel, die durch den großen Druck jedoch in festem Zustand sind.

Erdmantel
Der Kern wird vom Erdmantel umgeben, der nach außen 2900 Kilometer mächtig ist. Dieser besteht aus festem Gestein aus magnesium- und eisenreichen Silikat-Mineralien mit einem hohen Anteil an Eisen und Magnesium.

Asthenosphäre
Der als Asthenosphäre bezeichnete obere Bereich des Erdmantels ist 1000 bis 1400 Grad Celsius heiß.

Lithosphäre
Über der Asthenosphäre befindet sich die Lithosphäre. Diese ist 100 bis 200 Kilometer mächtig und umfasst neben der obersten, festen Schicht des Erdmantels die Erdkruste – die feste, spröde Oberfläche der Erde.

Erdkruste
Die äußere Hülle des Erdkörpers wird von der relativ dünnen (5 bis 70 Kilometer) Erdkruste gebildet. Diese besteht ebenfalls vorwiegend aus Silikaten und Oxiden, jedoch mit geringerem Eisen- und Magnesium-Anteil sowie einem erhöhten Anteil an Aluminium und Elementen.