Lionel Macomb (Steve Coogan) kennt am Mikrofon keine Gnade. Foto: Kinostar - Kinostar

Der Radio-Moderator Lionel Macomb (Steve Coogan) sieht sich gern als Sprachrohr „der Müden, der Armen, der kauernden Massen, der Ausgenutzten, der Underdogs, der Frustrierten, also aller, die es satt haben“. Doch dann gerät er in Frank Coracis neuem Kino-Drama „Hot Air“ unversehens in die Krise.

EsslingenLionel Macomb liebt es, zu polarisieren – seinem Publikum empfiehlt er sich als „ehrlichen Begleiter, der die Wahrheit sagt“. Damit ist der erzkonservative Scharfmacher, dessen Geschichte Frank Coraci in seinem Kino-Drama „Hot Air“ erzählt, zu einem der einflussreichsten Radiomoderatoren der USA geworden. Dass Coracis Protagonist an einen Präsidenten erinnert, der ungeniert aufhetzt, spaltet und sich Wahrheiten nach Belieben zurechtbiegt, ist kein Zufall. Menschen wie ihm begegnet man in Zeiten, in denen der Rechtspopulismus an Einfluss gewinnt, immer häufiger.

Als selbst ernanntes Sprachrohr „der Müden, der Armen, der kauernden Massen, der Ausgenutzten, der Underdogs, der Frustrierten, also aller, die es satt haben“, nimmt Lionel Macomb (Steve Coogan) seit 20 Jahren aufs Korn, was viele Menschen im Land bewegt. Und ganz egal, ob er mit dem Gesundheitssystem oder der Einwanderungspolitik der Regierung hart ins Gericht geht – was er sagt, lässt keinen kalt. Seine Fans lieben ihn, seine Gegner hassen ihn. Und er kann sicher sein, das seine messerscharfen und durchaus intelligenten Kommentare die öffentlichen Debatten befeuern. Macomb sonnt sich in seiner Selbstgefälligkeit – selbst seine Beziehung zu Valerie (Neve Campbell) ist für ihn nur ein Spiel, in dem er ganz selbstverständlich die Regeln vorgibt.

Doch selbst einer wie er kann sein Spiel nicht ewig weitertreiben: Sein einstiger Schützling Gareth Whitley (Skylar Astin) läuft ihm im Quotenrennen den Rang ab. Der Streit mit einer mächtigen Senatorin (Judith Light) kostet zusätzlich Kraft. Und so muss Macomb fürchten, in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Die Dinge nehmen Fahrt auf, als seine 16-jährige Nichte Tess (Taylor Russell) vor der Türe steht und nach einem Familienstreit Zuflucht ausgerechnet bei ihm sucht. Eigentlich hatte Macomb mit der Familie nichts mehr am Hut – nun muss er sich den verwandtschaftlichen Verwicklungen stellen. Tess erweist sich als kluge junge Frau, die es versteht, ihrem Onkel Paroli zu bieten. Sie konfrontiert ihn offen und unverblümt mit Wahrheiten, die schon lange keiner mehr in seiner Gegenwart auszusprechen wagte – dabei steht auch Tess vor einer Entscheidung, die ihr weiteres Leben entscheidend prägen wird. Als ihm seine Karriere immer mehr abverlangt, nimmt Tess in Macombs Leben eine immer wichtigere Rolle ein. Und er beginnt, darüber nachzudenken, was seine Worte anzurichten vermögen und dass er für deren Wirkung Verantwortung trägt ...

Die amerikanische Medienindustrie kennt viele Krawall-Moderatoren wie den (fiktiven) Lionel Macomb, denen jedes Mittel recht ist, solange die Quoten stimmen. Solche Figuren sind nicht nur ein mediales Phänomen. Menschen, die ihre Hände in Unschuld waschen, wenn die Saat, die sie mit ihren Worten ausgebracht haben, auf unheilvolle Weise aufgeht, kann man auch anderswo begegnen. Und dass sie nachdenklich werden, Kreide fressen und geläutert werden, ist ein schöner Gedanke – leider ist er oft viel zu schön, um wahr zu werden. Dass die Geschichte, die Drehbuchautor Will Reichel da erzählt, ein bisschen wie ein modernes Märchen wirkt, gibt kleine Abzüge in der B-Note. Doch die werden durch die starke darstellerische Leistung von Steve Coogan und Taylor Russell locker aufgewogen.

Ein erzkonservativer Radiomoderator erlebt in Frank Coracis Film „Hot Air“ eine wundersame Wandlung und lernt dank seiner Nichte, dass jeder für seine Worte und deren Wirkung verantwortlich ist.