Kurze Momente des Glücks: Aynur (Almila Bagriacik, vorn) genießt die Zeit im Kreise ihrer Schwestern, doch ihre familiären Zwänge sind stärker. Foto: Bothor - Bothor

Die Filmemacherin Sherry Hormann erzählt in ihrem berührenden Kino-Drama „Nur eine Frau“ die wahre Geschichte der mutigen Hatun Aynur Sürücü, die 2005 in Berlin auf offener Straße von ihrem eigenen Bruder erschossen worden war, weil sie ein selbstbestimmte Leben leben wollte.

EsslingenEs gibt Geschichten, die klingen auch nach vielen Jahren schmerzlich nach. So wie der Fall der damals 23-jährigen Hatun Aynur Sürücü, die 2005 in Berlin auf offener Straße von ihrem eigenen Bruder erschossen worden war. Die Familie sprach damals von einem „Ehrenmord“ – für die Rechtsanwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ates war es schlicht eine Hinrichtung. Und weil sie weiß, dass Fälle wie dieser bis heute immer wieder aus religiösem und traditionalistischem Fanatismus in muslimischen Familien vorkommen, stellt sie die aufrüttelnde Frage: „Wie viele Frauen müssen noch sterben, nur weil sie leben wollen, wie sie es wollen und lieben, wen sie lieben wollen?“ Umso dankbarer ist Seyran Ates dafür, dass Sherry Hormann diese Geschichte nicht vergessen hat. In ihrem erschütternden Kinodrama „Nur eine Frau“ rollt die Regisseurin diesen Fall nochmals auf und lässt Aynur die wahre Geschichte ihres Lebens und ihres Todes erzählen.

Die Eltern von Aynur (Almila Bagriacik) waren Anfang der 70er-Jahre aus Ostanatolien nach Berlin gezogen, in ihrer neuen Heimat und deren Kultur waren sie jedoch nie richtig angekommen. Die Familie ist streng konservativ und patriarchalisch geprägt, Frauen gelten nicht viel, der westliche Lebensstil ist verpönt. Deshalb finden es Aynurs Eltern auch ganz selbstverständlich, ihre Tochter nach der achten Klasse von der Schule zu nehmen und mit einem Cousin in Istanbul zu verheiraten, mit dem sie nichts verbindet. Doch ihr neuer Ehemann schlägt sie, und als die junge Frau schwanger wird, beschließt sie, aus ihrer Ehe zu entfliehen und nach Berlin zurückzukehren. Die Familie empfindet das als Schande und mag nicht akzeptieren, dass Aynur Hilfe beim Jugendamt sucht, ihren eigenen Weg geht und in ein Mutter-Kind-Heim zieht. Trotzdem denkt sie nichts Böses, als sie ihren Bruder Nuri (Rauand Taleb) zur Bushaltestelle begleitet. Nur wenige hundert Meter von ihrer Wohnung entfernt bringt er sie um. Dass ihr fünfjähriger Sohn zuhause in der Wohnung wartet, kümmert ihn nicht. Es ist das tragische Ende einer Geschichte, die mit dem Wunsch einer jungen Frau begann, ihrer gewaltbestimmten Ehe zu entfliehen und gegen alle Konventionen ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

„Wie unglaublich und beeindruckend die Geschichte Aynurs ist – man muss sich das einfach immer wieder vor Augen führen“, findet Regisseurin Sherry Hormann. „Wir leben alle unter einem Himmel, und es bewegt mich sehr, dass diese Werte, an denen Menschen wie Aynurs Familie sich orientieren, heute und mitten in Berlin gelebt werden.“ Hormann wollte erklärtermaßen nicht werten, sondern das Psychogramm einer Familie zeichnen, die in ihren Konventionen gefangen ist. Dass Aynur ihre Geschichte selbst erzählen muss, war ihr rasch klar: „Anders geht das gar nicht. Und sie darf dabei vor allem ihre ganz eigene Sichtweise einnehmen und Dinge sagen, die politisch unkorrekt sind. Und da sie tot ist, kann sie nur aus dem Off erzählen.“ Dazu entwickelt die Regisseurin eine ganz eigene Bildsprache, die dem Zuschauer zwischendurch in vielen ruhigen Momenten immer wieder Gelegenheit zum Innehalten bietet.

Sherry Hormann erzählt in ihrem bewegenden Kino-Drama „Nur eine Frau“ die wahre Geschichte von Hatun Aynur Sürücü, die sich den konservativen Regeln ihrer Familie konsequent verweigerte und dafür mit ihrem Leben bezahlen musste. Die Schauspielerin Almila Bagriacik gibt der jungen Frau, die im Film aus ihrer eigenen Perspektive erzählt, auf beeindruckende Weise ein Gesicht.