Schmerzliche Enthüllungen: Bill (Timothy Spall) findet im Augenblick größter seelischer Not bei Gottfried (Bruno Ganz) Trost. Foto: Adventure Pictures Quelle: Unbekannt

Von Alexander Maier

Esslingen - Was wäre der Mensch ohne die kleinen Lebenslügen, die das Dasein für manchen erst erträglich machen? Viele machen sich lieber gar nicht erst bewusst, dass zwischen Sein und Schein eine riesige Lücke klafft, und irgendwie hofft jeder, dass das sorgsam aufgebaute Gebilde von Selbstbetrug und Illusion ewig halten möge. Schön wär’s, wenn das so wäre, doch manchmal genügt ein kleiner Windstoß, und plötzlich bricht alles wie ein Kartenhaus zusammen. Was dann passiert, zeigt die Regisseurin Sally Potter in ihrer Dramödie „The Party“, die sich ihren Figuren in eindringlichen Schwarz-Weiß-Bildern manchmal bis an die Schmerzgrenze nähert - und die gerade mal 71 Minuten braucht, um uns vor Augen zu führen, wie fragil unser Leben in diesen wild bewegten Zeiten sein kann.

Viele Jahre lang hat Janet (Kristin Scott Thomas) ihr Privatleben der politischen Karriere untergeordnet - wie es ihrem Ehemann Bill (Timothy Spall) damit ging, war ihr herzlich egal. Nun sieht sich Janet endlich am Ziel: Ihre Partei hat sie als künftige Gesundheitsministerin ins Schattenkabinett berufen. Und das will Janet mit den Menschen feiern, die ihr am nächsten sind: ihrer besten Freundin April (Patricia Clarkson) und deren Partner Gottfried (Bruno Ganz), Martha (Cherry Jones) und Jinny (Emily Mortimer), die ein Kind erwarten und sich gern als gleichgeschlechtliches Traumpaar inszenieren, und dem Banker Tom (Cillian Murphy), der ziemlich nervös scheint. Ob’s daran liegt, dass seine Frau Marianne noch immer nicht aufgetaucht ist? Doch Tom ist nicht der einzige, der an diesem Abend neben der Spur ist: Bill sitzt nur apathisch herum und ertränkt seinen unübersehbaren Frust in Alkohol. Und so nimmt der Abend einen immer unerquicklicheren Verlauf. Ein Wort ergibt das andere, die Situation eskaliert, und bald jagt eine schmerzliche Enthüllung die nächste.

Sally Potter hat sich und ihrem vorzüglichen Darstellerensemble größte Beschränkungen auferlegt: Sie erzählt ihre Geschichte in Echtzeit, alles spielt sich in der Enge von Janets und Bills Haus ab. Genau das wollte die Regisseurin zur Kunst erheben: „In einer schwarz-weißen Filmwelt ohne Spezialeffekte und ständige Ortswechsel müssen einfache Elemente die Geschichte erzählen. Alles ist entblöst.“ Und im Moment der größten seelischen Not bleibt Potter ganz nah dran an ihren Figuren und demaskiert sie bis zur völligen Kenntlichkeit.

Ein paar Freunde wollen feiern, doch die Party läuft in Sally Potters schwarz-weißer Dramödie aus dem Ruder. Und plötzlich gerät das makellose Selbstbild aller gehörig ins Wanken.