Schillernde Figuren wie Prinzessin Dragomiroff (Judi Dench, rechts) und ihre Zofe Hildegard (Olivia Colman) tummeln sich im Orient-Express. Foto: Fox Quelle: Unbekannt

Von Ulrike Cordes

Esslingen - Irgendwo auf dem Balkan gerät ein Luxuszug in eine Schneeverwehung und kommt auf einer Brücke über schwindelerregendem Abgrund zum Halt. Während draußen eine stürmische Nacht tobt, wird drinnen ein Mann umgebracht. Der belgische Meisterdetektiv Hercule Poirot, der zufällig im Zug sitzt, kombiniert messerscharf: Nur einer der 13 Mitfahrer kann die Untat verübt haben. So macht sich Poirot an die Aufklärung. Fans klassischer Krimis ist die Story wohlbekannt. Denn der Roman „Mord im Orient-Express“ von Agatha Christie erschien 1934 und wurde seither millionenfach gelesen - und wiederholt verfilmt. Sir Kenneth Branagh sorgt nun für ein weiteres Remake.

Der umjubelte Shakespeare-Interpret Branagh spielt genüsslich und mit gewaltigem Schnurrbart den Feinschmecker und Philosophen Poirot. All das ist ihm gefällig gelungen, obwohl sein Werk keine besondere Originalität zeigt. Mancher Zuschauer muss sich wohl erst an sein Gesicht gewöhnen, denn Branagh sieht eher britisch als romanisch aus. Seine Produktion bietet ein Allstar-Ensemble auf - darunter Penelope Cruz, Judi Dench, Michelle Pfeiffer, Johnny Depp. Doch er wäre nicht Branagh, wenn er das unterhaltsam-schaurige Geschehen nicht um existenzielle Untertöne anreichern würde.

Ein Philosoph mit Spürnase ermittelt

Ein gewisser moralischer Ernst ist der Geschichte sowieso eigen. Denn eine Hintergrundrolle spielt die reale spektakuläre Entführung und Ermordung des Babys von Flieger-As Charles Lindbergh im Jahr 1932, die auch bei Agatha Christie einen schmerzlichen Eindruck hinterlassen hatte. Zunächst schwelgt auch Branaghs „Mord im Orient-Express“ in der Pracht üppiger Bilder aus einer vergangenen Zeit. Immer wieder schweift die Kamera über die mit Hilfe von Spezialeffekten geschaffenen historischen Kulissen der Städte Jerusalem und Istanbul, in denen Poirot sich zuvor aufgehalten hat. Elegante Hotels und Restaurants, stilvoll mit Hut, Anzug und schönen Roben bekleidete Menschen und ein tutender Dampfer bilden die Szenerie. Doch es ist eine Welt, in der das Verbrechen überall lauert. Hier kommt es in Gestalt von Johnny Depp an Bord des Zugs. Dessen Mr. Ratchett ist ein grobschlächtiger Amerikaner mit Narben im Gesicht, der Poirot um Beistand bittet, weil er Drohbriefe erhalte.

„Ich spüre Verbrecher auf, ich beschütze sie nicht“, antwortet der kalt - und lässt dafür sogar ein köstliches Törtchen im Speisewagen stehen. Doch je mehr der Ordnung und Rationalität liebende Detektiv nach der bald darauf folgenden Bluttat seine geheimnisvollen Mitreisenden verhört, desto mehr beginnt er, an der Vernunft der Menschen zu zweifeln. Er habe wohl mit der Tatsache ihres inneren Ungleichgewichts zu leben, resümiert Branagh in Person von Poirot nach Abschluss des vertrackten Falls. Das bezieht sich nicht nur auf den Mord. Denn die ganze Gesellschaft in ihrem elitären Gefährt wird im Film überhöht zum Symbol einer traditionellen Welt in schlimmer, auch rassistischer Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. In ihrer gefahrvollen Lage auf der Brücke kommt sie gerade noch einmal davon.

Mit vielen Stars sowie sich selbst in der Hauptrolle präsentiert der Brite Kenneth Branagh üppiges Unterhaltungskino à la Hollywood, angereichert mit einigen nachdenklichen Tönen.