Commander Bolton (Kenneth Branagh) kann kaum glauben, was sich am Strand von Dünkirchen abspielt. Foto: Warner Bros. Quelle: Unbekannt

Von Philip Dethlefs

Esslingen - Unter dem ohrenbetäubenden Lärm der Gewehrsalven flüchtet der junge britische Soldat Tommy durch die Straßen von Dünkirchen an den Strand. Dort erwartet ihn ein düsteres Szenario: Hunderttausende seiner Kameraden hoffen, praktisch ungeschützt vor Luftangriffen der deutschen Wehrmacht, im Sand auf ihre Rettung. Es dauert nur wenige Minuten, und die Zuschauer sind mittendrin in Christopher Nolans Kriegsdrama „Dunkirk“.

Die Schlacht von Dünkirchen, die vom 26. Mai bis zum 5. Juni 1940 dauerte, hat einen besonderen Platz in der britischen Geschichte. Sie gilt als Katastrophe - und als Wunder: 330 000 von 370 000 Soldaten konnten dank tatkräftiger Hilfe von britischen Zivilisten gerettet werden. Mit kleinen Fischerbooten, Jachten und Ausflugsdampfern nahmen sie bei schlechten Wetterbedingungen die Reise über den Ärmelkanal nach Dünkirchen auf sich, um die Soldaten nach Hause zu holen, bevor Hitlers Wehrmacht vorrückte. „Dunkirk“ zeigt die Ereignisse dieser entscheidenden Tage aus drei Perspektiven: Tommy (Fionn Whitehead) wartet auf dem Land mit den anderen Soldaten auf seine Evakuierung. Die RAF-Piloten Farrier (Tom Hardy) und Collins wehren in ihren Spitfire-Kampfjets die gegnerischen Luftangriffe ab. Und Mr. Dawson (Mark Rylance) versucht mit seinem Sohn Peter und dem jungen George, auf dem Wasser so viele Leben wie möglich zu retten.

Anstrengend und authentisch

Regisseur Nolan verzichtet auf optische Schockeffekte und zeigt das Geschehen, ohne zu kommentieren oder zu politisieren. So sind deutsche Soldaten in den Straßen oder Flugzeugen weder zu erkennen, noch werden sie überhaupt als Deutsche bezeichnet. „Der Feind“ heißt es lediglich am Anfang. Genauso wenig sind Politiker zu sehen - der Film spielt sich ausschließlich im Mikrokosmos Dünkirchen ab, im Radius und aus Sicht der Betroffenen. Das sei kein Kriegsfilm, sondern ein Spannungs-Thriller, betont Nolan. Tatsächlich ist „Dunkirk“ ein Film über einen Überlebenskampf, der seine Zuschauer die Strapazen und den Alptraum der Protagonisten aus nächster Nähe erleben lässt. Er gönnt dem Publikum kaum eine ruhige Minute oder einen Moment der Entspannung. Das ist im positiven Sinne anstrengend, weil authentisch.

Hinzu kommt, dass „Dunkirk“ auf 70-Millimeter-Film gefilmt wurde. Das hochwertige Bild ist extrem scharf, sodass die Zuschauer das Gefühl haben, selbst mittendrin zu sein. Das sorgt für noch mehr Nähe und verzückt nicht nur Cineasten. Außerdem verzichtete Nolan, so weit es ging, auf Computeranimationen. Stattdessen ließ er echte Kampfflugzeuge über die Köpfe seiner Darsteller fliegen, um es auch für die Besetzung so real wie möglich wirken zu lassen. Ein Star des Films ist der Komponist Hans Zimmer: Sein Score ist wie eine musikalische Adaption des Krieges und der Gefühlslage seiner Protagonisten. Er hat maßgeblichen Anteil an der bedrohlichen Atmosphäre des Films. So schicken Nolan und seine Crew die Zuschauer in „Dunkirk“ auf eine wahre Tour de Force, die aufreibend und unterhaltsam zugleich ist.

Neben etablierten Stars überzeugen die Nachwuchs-Schauspieler, insbesondere Fionn Whitehead als wortkarger Tommy und Barry Keoghan, der sich in der Rolle des gutherzigen George mit Mr. Dawson auf die gefährliche Rettungsmission begibt. In einer Nebenrolle ist „One Direction“-Sänger Harry Styles zu sehen, auch wenn ihm seine Rolle schauspielerisch nicht allzu viel abverlangt. Überhaupt sind die Dialoge in „Dunkirk“ eher spärlich. Über die Charaktere erfährt man kaum etwas. Doch das stört nicht. Schließlich war damals keine Zeit für so etwas: Jeder wollte einfach nur weg.

Mit seinem Kriegs-Thriller „Dunkirk“ erinnert der britische Starregisseur Christopher Nolan an die Evakuierung von 330 000 Soldaten vom Strand der französischen Stadt Dünkirchen, unmittelbar bevor die deutsche Wehrmacht 1940 bis dorthin vorrückte.