Foto: Steegmüller

Die Stuttgart Netze GmbH hat im Stadtgebiet 2428 Strommasten kontrollieren lassen. Auch in den Oberen Neckarvororten waren die Inspektoren unterwegs.

UntertürkheimAuf Holz klopfen. Diese Redewendung soll eigentlich Glück bringen, ihren Ursprung hat sie jedoch in der Seefahrt. Matrosen machten sich einst durch gezielte Schläge gegen den Mastfuß ein Bild vom Zustand des Schiffes. Auch Jörg Wolters schwört auf diese Methode. Er ist jedoch nicht auf den sieben Weltmeeren unterwegs, sondern nimmt mit seinen Mitarbeitern bundesweit Strommasten unter die Lupe. Jährlich rund 80 000 Stück, derzeit 2428 in der Landeshauptstadt, diese Woche sind seine Mitarbeiter in den Oberen Neckarvororten unterwegs. „Man erkennt schon am Geräusch, ob alles in Ordnung ist“, sagt der Geschäftsführer der Heinz Kremer Mastenschutz GmbH aus Nordrhein-Westfalen. „Ist das Holz faul, ist der Klang dumpfer. Der Hammer federt nicht zurück.“

Nur auf sein Gefühl und die Sichtkontrolle verlässt sich Wolters, dessen Familienbetrieb im Auftrag der Stuttgart Netze GmbH im Einsatz ist, jedoch nicht. Mit einem Prüfgerät, dem „Resi“, wird an drei verschiedenen Stellen eine dünne Nadel durch den Mast gebohrt. Dabei werden der Vorschub und das Drehmoment gemessen und direkt an ein Tablet übertragen. „Die Werte, die in einer Bohrmesskurve erfasst werden, geben Aufschluss über die Qualität des Holzes.“ Ist das Ergebnis nicht eindeutig, kommt anschließend der „Zuwachsbohrer“ zum Einsatz, der grob an einen Apfelkernausstecher erinnert. Mit ihm lassen sich Späne aus dem Inneren des Stamms entnehmen, die weitere Rückschlüsse auf den Zustand geben.

Kleine Markierungen aus Metall, die in den Stamm eingeschlagen sind, verraten Holzmastinspektoren wie Fritz Schwab neben der Nummer weitere wichtige Details. „Die Ziffer 10 steht beispielsweise für die Länge des Stammes. Wobei rund ein Sechstel im Erdreich vergraben ist.“ Er kennt mittlerweile jeden Winkel in der Landeshauptstadt in- und auswendig. „Treppen hoch, Treppen runter, das geht ganz schön in die Beine.“ Initialen wie „H. F.“, das für die Holzindustrie Fürst zu Fürstenberg im Schwarzwald steht, geben dem Experten Aufschluss, woher der Mast stammt. Ein weiteres Plättchen verrät, wie alt der Stamm ist. „50 bis 70 Jahre sind keine Seltenheit“, fügt sein Chef Wolters hinzu.

Das größte Problem sei Hohlfäule im Erdbereich. Um die Masten davor zu bewahren, werden die Kiefern- oder Fichten-Hölzer in einem Vakuum-Druck-Verfahren dauerhaft imprägniert. Eine Kappe auf der Spitze des Stammes verhindert zudem, dass Regenwasser von oben eindringen kann. Weitere „Feinde“ sind der Specht, der gerne mal mit seinem Schnabel Löcher in den Mast klopft, Blitzeinschläge und natürlich der Mensch. „Obwohl die Stämme wirklich robust sind, verursachen Lastwagen oder Traktoren beim Wenden immer wieder Auffahrschäden“, sagt Wolter.

Der Zustand jedes Masts wird in einer digitalen Stadtkarte eingetragen. Grün steht für alles in Ordnung. Wenn Mängel vorhanden sind, wird die Markierung auf Rot gestellt. Gleichzeitig laden die Inspektoren dann Bilder und eine kurze Erklärung in der App hoch. Informationen, auf die letztlich Sven Gruschwitz zugreift. Er ist bei der Stuttgart Netze GmbH für die Betriebssteuerung verantwortlich und entscheidet anhand der Ergebnisse über weitere Maßnahmen wie den sofortigen Tausch eines Masts oder kleinere Reparaturen. Einen vorgeschriebenen Kontrollzyklus gebe es nicht, sagt Gruschwitz. „Das liegt in der Verantwortung des Betreibers.“ In der Landeshauptstadt werden die Masten alle vier Jahre überprüft. Viel Arbeit für den Stuttgart-Netze-Mitarbeiter. „Sie stehen oft auf Privatgrundstücken. Im Vorfeld müssen wir unter anderem mit den Eigentümern in Kontakt treten und Termine für die Kontrolle vereinbaren.“ Das habe in diesem Jahr aber sehr gut geklappt. Auch Wolters lobt die Zuverlässigkeit der Schwaben.

Die Prüfung erfolge nur vom Boden aus, bestiegen würden die Masten von den Inspektoren nicht, betont Gruschwitz. Das übernehmen Elektrofachkräfte. Zwar handelt es sich um Nieder- und nicht um Hochspannungsleitungen, dennoch fließt der Strom noch immer mit einer Spannung von 4000 Volt zu den Haushalten. „Bei Strom ist immer Vorsicht geboten – besonders bei Freileitungen“, sagt Gruschwitz. „Bei direktem Kontakt mit den Leiterseilen kann es zu lebensgefährlichen oder gar tödlichen Verletzungen kommen – zum Beispiel Brandverletzungen aufgrund von Lichtbögen. Oftmals besteht auch Gefahr durch sogenannte Sekundärfolgen wie beispielsweise einem Absturz.“

Doch warum verlegt man die Stromleitungen in den Außenbezirken dann nicht wie in der Innenstadt unterirdisch? „Wann immer es sinnvoll ist, machen wir das“, so Gruschwitz. Das Erdkabel habe zwar einen geringeren Wartungsaufwand, es gebe jedoch auch Nachteile. Der Tiefbau sei teurer, außerdem ist die Schadensbehebung aufwendiger. Leitungen unterirdisch zu verlegen, sei zudem aufgrund des Talkessels oftmals nicht immer einfach. Holzmasten – in ganz Deutschland gibt es 4,5 Millionen Stück – werden daher in absehbarer Zukunft wohl auch aus Stuttgarts Stadtbild nicht verschwinden. Gut für Inspektoren wie Fritz Schwab, die noch viele Jahre auf Holz klopfen können.