Wolfgang Dietrich Foto: Rudel - Rudel

Von Sigor Paesler
Stuttgart – Eigentlich, dachte Wolfgang Dietrich, sei die Sache ausführlich genug erklärt und damit ausgestanden. Und der Mann, der am Sonntag zum Präsidenten des Fußball-Zweitligisten VfB Stuttgart gewählt werden möchte, hat auf seiner Wahlkampftour auch Abende erlebt, an denen er in Ruhe erklären konnte, wie er den schwächelnden Traditionsverein wieder nach oben führen will. Vorstellungen hat er einige. Es sind wenig neue Ideen dabei. Aber Dietrich verspricht, sie auch konsequent umzusetzen. Der 68-Jährige präsentiert sich als Macher. Für viele VfB-Mitglieder aber bleibt er der Mann, der Sprecher des umstrittenen Bahnprojektes Stuttgart 21 war und der früher sein Geld unter anderem mit Krediten für Fußball-Clubs verdient hat. Clubs, die teilweise heute mit den Stuttgartern um Zweitliga-Punkte kämpfen.
Eigentlich, dachte Dietrich, sei die Sache ausführlich genug erklärt und damit ausgestanden. Aber ausgerechnet bei der Veranstaltung, die sich „VfB im Dialog“ nennt und die von dem Verein organisiert wird, dem er gerne bald vorstehen will, dreht sich wieder viel um die Vergangenheit. Das nervt. Schaut man sich die Nachbetrachtung an, die der VfB anschließend auf seine Internet-Seite stellt, fällt auf: Es geht unter anderem um „etwaige Einwände der DFL gegen seine Kandidatur“, „die Möglichkeit, sich nach zwei gescheiterten Wahlgängen vom Aufsichtsrat als Präsident einsetzen zu lassen“ und „einen Interessenkonflikt, weil von ihm gegründete Unternehmen mit Vereinen zusammenarbeiten, die teils in direkter Konkurrenz zum VfB stehen“. Ein Kandidat in der Defensive.
Einen Tag später sitzt Dietrich mit Medienvertretern zusammen. Unter anderem mit Journalisten der „Stuttgarter Zeitung“, mit der sich sein Sohn Christoph mit seiner Firma „CAW Dietrich“ in einem Rechtsstreit befindet. Es gab eine Einstweilige Verfügung gegen die Zeitung. Die Angelegenheit geht vermutlich in die nächste Runde. Keine einfache Situation. Das Thema wird nicht angesprochen. Im Gegensatz zur Veranstaltung am Abend zuvor.

Kandidat des Aufsichtsrates

Viele Fans in der Cannstatter Kurve machen seit Wochen deutlich, was sie von dem Kandidaten halten. „Dietrich verhindern“ steht auch während des jüngsten Heimspiels gegen die SpVgg Greuther Fürth auf einem Plakat. Und „AR abwählen“. „AR“, damit ist der Aufsichtsrat gemeint. Das Gremium ist für viele Rote ein rotes Tuch. Auf der Mitgliederversammlung soll es einen Antrag auf seine Abwahl geben. Dietrich ist der Kandidat des Aufsichtsrates. Das ist für viele Fans seine größte Hypothek. So wie es bei seinen Vorgängern Gerd Mäuser und Bernd Wahler war. Die schließlich gewählt wurden.
Wie die Wahl am Sonntag ausgeht, ist völlig offen. Es ist auch eine Frage der Mobilisierung. Gegner und Befürworter arbeiten daran. Auch wenn sie ihre Meinung weniger öffentlichkeitswirksam präsentieren, Befürworter hat der Kandidat auch viele. Die in erster Linie einen starken Präsidenten wollen. Einen wie Dietrich. Und es gibt viele Mitglieder, die einfach ein Machtvakuum scheuen. Lieber Dietrich als gar keinen Präsidenten. Nur ein einziges weiteres VfB-Mitglied, das nicht vom Aufsichtsrat vorgeschlagen wurde, hatte die – verhältnismäßig moderaten – Kriterien für eine Kandidatur erfüllt. Das Mitglied zog aber wieder zurück, als bekannt wurde, dass der Verein keinen hauptamtlichen Präsidenten sucht. Was Dietrich nach eigener Aussage nicht versteht: „Er hätte doch antreten können. Wäre ich davon überzeugt gewesen, dass ich der Richtige bin, hätte ich es getan.“ Auch ohne vom Aufsichtsrat vorgeschlagen zu werden.
Dietrich ist der Mann des Aufsichtsrates. Und er glaubt, der Richtige zu sein. Und wenn er sich nicht für seine Vergangenheit rechtfertigen muss, erklärt er auch, warum. „Der Verein ist seit einem halben Jahr führungslos“, sagt Dietrich. „Ich freue mich auf einen Neuanfang.“ Dieser soll aber sitzen. Als konkrete Punkte, die er ändern möchte, nennt er die Einführung einer neuen Geschäftsordnung inklusive eines Verhaltenskodexes. „Es geht darum, wie man mit Leuten umgeht, die uns verlassen“, nennt er als Beispiel. Was die Jugendarbeit betrifft, hat er einen „Fünf- bis Zehn-Jahres-Plan“ im Kopf und will diesen Bereich „von den Finanzströmen des Profivereins abkoppeln“. Das sei „ein Thema, bei dem ich schon glaube, etwas bewirken zu können“.
Dietrich will, „wenn ich gewählt werde“, den Ehrenrat abschaffen und durch einen „Vereinsbeirat“ ersetzen. Er verspricht, so ähnlich wie das schon Vorgänger Wahler angekündigt hatte, regelmäßig Mitgliederausschüsse einzuberufen, um die Kompetenzen der VfB-Familie bei Sachthemen zu nutzen. Ohne bindendes Mandat freilich. Noch in diesem Jahr will er den Anstoß dazu geben.

Spalter? „Das trifft mich schon“

„Spalter“ haben Fans in der Cannstatter Kurve auf ein Plakat mit Dietrichs Konterfei geschrieben. „Das trifft mich schon“, sagt dieser und erklärt in Bezug auf seine Vergangenheit, als er auch immer wieder Firmen übernahm: „Wenn sie da nicht derjenige sind, der zusammenführt, sind sie nach vier Wochen pleite.“
Und dann redet Dietrich doch einmal kurz über Stuttgart 21. Da, erklärt er, gab und gibt es nicht nur die beiden Lager der Befürworter und Gegner. „Was ich mir am höchsten anrechne, ist, dass ich die ganzen Befürworter zusammengebracht habe“, erklärt er. Und betont: „Ich glaube schon, dass das zu meinen Stärken gehört und ich habe es auch bewiesen. Ich bin das Gegenteil eines Spalters.“
Ob er die erforderliche Mehrheit des Anteils der 48 000 Mitglieder überzeugt, die am Sonntag um 12 Uhr in die Schleyerhalle kommen, ist so spannend wie die Frage nach dem Ausgang eines Fußballspiels.
Ein Kandidat in der Defensive. „Ich bin im Kampfmodus“, sagt Wolfgang Dietrich.