Martin Harnik nimmt Maß. Der 96-Stürmer freut sich über jedes Tor – und will zurück in die Bundesliga. Foto: Archivbild: dpa

Von Sigor Paesler
Hannover – Die Frage musste kommen. Wie wird Martin Harnik reagieren, wenn er am Montagabend in der Mercedes-Benz-Arena ein Tor erzielen sollte? In dem Stadion, in dem er so viele Tore für den VfB Stuttgart geschossen hat und in das er nach sechs Jahren zum ersten Mal nicht im Trikot mit dem Brustring einlaufen wird. Die Antwort ist typisch Harnik. „Ich denke, dass es nichts mit Respektlosigkeit zu tun hat, wenn ich mich für meinen neuen Verein freue“, sagt er. Sein neuer Verein ist Hannover 96, wie der VfB Absteiger aus der Fußball-Bundesliga und in der 2. Bundesliga Top-Aufstiegskandidat.
Harnik würde am Montag also gerne jubeln. „Dafür ist auch jedes Tor zu besonders und zu schön – und gerade in dieser Konstellation zu wichtig. Es ist ein Spitzenspiel. Jedes Tor wäre mir zu schade, um nicht darüber zu jubeln“, erklärt er. Harnik, wie immer geradeaus, ehrlich, authentisch.
Zwischen 2010 und 2016 hat der Deutsch-Österreicher in 173 Bundesligaspielen 53 Treffer für den VfB bejubelt. Er hat in Stuttgart viele Höhen und Tiefen erlebt. Mit der Mannschaft und persönlich. Die Fans liebten ihn für seine direkte Art und sein Engagement auf dem Spielfeld – und nahmen ihm gleichzeitig vergebene Großchancen übel wie kaum einem anderen. Es würde seinen sechs Jahren auf dem Wasen gerecht, wenn ihn das Stuttgarter Publikum freundlich empfangen würde. So wie es Simon Terodde, sein Nachfolger im Stuttgarter Angriff, vor Kurzem bei seinem Ex-Club Union Berlin erlebt hat.
Noch geht Harnik ganz entspannt mit der bevorstehenden Rückkehr um. Aber er weiß, dass sich das ändern wird. So eine lange Zeit bei einem Club lässt sich nicht einfach abschütteln. „Es war der Verein, bei dem ich zum Bundesligaprofi gereift bin. Ich habe dort zum ersten Mal international Erfahrung gesammelt, bin am Ende Vizekapitän gewesen. Es waren viele kleine Schritte, die ich da getan habe“, sagt er über den VfB. Auch die größte Niederlage mit dem Abstieg gehörte dazu.

Hundespaziergänge mit Gentner

Dazu kommen die privaten Verbindungen: „Ich habe dort geheiratet, wir sind in Stuttgart zum ersten Mal Eltern geworden, haben noch einen Hund dazubekommen. Es sind sehr viele schöne Erinnerungen, an die ich täglich denke.“ Harnik und seine Hunde. Nicht nur das ist es, was ihn etwa mit VfB-Kapitän Christian Gentner verbindet. Die gemeinsamen Spaziergänge in der „tollen Landschaft“ vermisst er. Zu Daniel Ginczek hat er noch regelmäßig Kontakt und zum österreichischen Nationalmannschaftskollegen Florian Klein. Vor allem aber zu Gentner, mit dem er gleichzeitig zum VfB kam. Harnik vom Zweitligisten Fortuna Düsseldorf, Gentner (zurück) vom VfL Wolfsburg. „Wir wünschen uns vor den Spielen regelmäßig Glück und gratulieren uns, wenn es gut gelaufen ist. In unserer Freizeit haben wir aber auch andere Themen“, erzählt Harnik.
Der 29-Jährige freut sich auf die Begegnung. Aber er geht die Sache als Profi an. „Die Situation ist definitiv besonders, nicht nur für mich persönlich. Es ist ein geiles Spiel, am Montagabend vor vielen Zuschauern gegen den Tabellenführer und Mitabsteiger“, sagt er. Den VfB sieht er in der Favoritenrolle – „aber nur minimal.“
Als im vergangenen Frühjahr klar war, dass die VfB-Verantwortlichen wenig Wert auf eine Weiterbeschäftigung von Harnik legen würden, war abzusehen, dass es ihn in den Norden ziehen würde. Am liebsten in seine Geburtsstadt Hamburg. Doch ein Wechsel zum HSV zerschlug sich. Ein Angebot des von Felix Magath trainierten chinesischen Erstligisten Shandong Luneng lehnte er ab, auch aus einem Engagement in England wurde nichts. Dann also Hannover. 2. Bundesliga.
Und zumindest relativ nahe an Hamburg. Deshalb rechnet Harnik auch nicht damit, dass es am Montag einen größeren persönlichen Fanblock auf den Rängen geben wird als in den vergangenen Heimspielen bei seinem neuen Club. „Ich habe in Hannover schon mehr Karten besorgt als in sechs Jahren in Stuttgart, dafür war dort einfach die Distanz zu groß“, erzählt er. „Ein paar Freunde, die ich in Stuttgart kennengerlernt habe, werden vielleicht kommen.“
In Hannover hat sich Harnik schnell zurechtgefunden. Warum das nicht so schwer war, erklärt er so: „Beides sind Vereine mit Tradition und einer wirtschaftlichen Stärke im Rücken. Beide haben eine richtig coole Fankultur. Vielleicht sind die Ansprüche in Stuttgart noch einen Tick höher, weil die Leute 2007 die Meisterschaft gefeiert haben und man dort in den vergangenen zehn Jahren ein bisschen länger international im Geschäft dabei war als Hannover.“
Der sportliche Erfolg tat ein Übriges: Hannover ist Dritter mit 28 Punkten, vier Zähler hinter Tabellenführer Stuttgart. Harnik ist Stammspieler und kommt auf bislang sieben Saisontreffer. In der Mannschaft stimmt es, erzählt der Offensivspieler. Auch das hat Gründe: „Wenn es einen Vorteil in der 2. Bundesliga gibt, dann den, dass man gemeinsam das Ziel Aufstieg hat. Das geht nur als Mannschaft, das schweißt zusammen.“ Beim VfB beobachtet er eine ähnliche Entwicklung. „Ich sehe das Ganze positiv“, sagt Harnik über die Herausforderung nach dem schmerzlichen Abstieg, die er nun nicht in Stuttgart, sondern in Hannover angeht. „Wenn am Ende das Ziel erreicht wird, war es sicherlich ein cooles Jahr in der 2. Bundesliga.“ Aber nur dann.

Bislang sieben Saisontreffer

Wie so oft in den vergangenen Jahren, wenn der VfB ein Heimspiel hat, wird der Name Martin Harnik am Montag auf dem Mannschaftsbogen stehen. Nur auf der anderen Seite. Und deshalb weiß der Angreifer ganz genau, wann die Emotionen beginnen werden, ihn so richtig zu packen: „Wenn es in Richtung Stadion geht, wenn ich die Aufstellung des VfB sehe und die Namen der alten Kameraden draufstehen.“
Harnik würde sich am meisten freuen, wenn er am Ende der Saison gemeinsam mit den alten und den neuen Kumpels den Wiederaufstieg bejubeln könnte.