An die Arbeit. Wolfgang Dietrichs Terminmappe ist nach der erfolgreichen Wahl gut gefüllt. Foto: Rudel

Von Sigor Paesler

Stuttgart – Am ersten Arbeitstag als ehrenamtlicher Präsident des Fußball-Zweitligisten VfB Stuttgart gönnte sich Wolfgang Dietrich ein Stündchen längeres Ausschlafen. Schließlich hatte der 68-Jährige wie knapp 3000 weitere VfB-Mitglieder noch die siebenstündige Versammlung am Sonntag in den Knochen. Bei Dietrich kam die Anspannung angesichts der Unsicherheit dazu, ob er überhaupt gewählt werden würde. Er wurde gewählt, und das durfte trotz des bescheidenen Stimmenanteils von 57,2 Prozent ein bisschen gefeiert werden. Mittlerweile aber hat er sich in die Arbeit gestürzt. Dabei muss er eine gesunde Balance finden, den Ankündigungen während der Wochen des Wahlkampfes Taten folgen zu lassen, ohne in Aktionismus zu verfallen. Die drängendsten Aufgaben:

Vertrauen schaffen: Das Machtvakuum an der Clubspitze ist aufgefüllt. Nun wird genau beobachtet, was für einen Führungsstil der vierte VfB-Präsident innerhalb von fünf Jahren prägen wird. Nach dem Moderator Erwin Staudt, dem Polterer Gerd Mäuser und dem Kommunikator Bernd Wahler hat Dietrich angekündigt, gleichzeitig Teamplayer und Entscheider zu sein. Die Mitglieder will er durch Ausschüsse in Entscheidungsfindungsprozesse einbeziehen. Er fängt aber zunächst auf der Geschäftsstelle an. Während Dietrich ankündigte, sich in den kommenden zwei bis drei Wochen in der Öffentlichkeit rar zu machen, folgte bereits gestern im Clubheim ein Meeting dem nächsten. Gegenseitiges Kennenlernen ist angesagt. Wobei auch die VfB-Mitarbeiter den Neuen genau beäugen werden. Dietrich hat im Vorfeld erklärt, niemanden loswerden zu wollen, aber bei jedem Einzelnen zu überprüfen, „ob er an der richtigen Stelle sitzt“. Beim Scouting und der Jugendarbeit gar hat der Unternehmer angekündigt, „keinen Stein auf dem anderen“ zu belassen. Das schafft Unsicherheit. Und fordert Fingerspitzengefühl beim Chef.

Dietrich will einen Ehrenkodex beim VfB einführen, in dem es auch darum geht, wie zukünftig mit ehemaligen Mitarbeitern umgegangen wird. Den jetzigen VfB-Angestellten dürfte am Sonntag aber auch aufgefallen sein, wie Dietrich indirekt den früheren Sportvorstand Robin Dutt kritisierte.

Auch die Vorstände Stefan Heim (Finanzen) und Jochen Röttgermann (Marketing) müssen in ihre neue, alte Rolle zurückfinden. Seit Wahlers Rücktritt nach dem Abstieg aus der Bundesliga füllten sie – notgedrungen – das Vakuum an der Spitze aus. Jetzt haben sie wieder einen über sich, einen, den auch sie erst im Alltag kennenlernen müssen. Nicht zuletzt muss Dietrich die Wahlsieger-Floskel, er wolle der „Präsident aller VfB’ler“ sein, mit Inhalt füllen und die Anliegen der Mitglieder ernst nehmen. 

Über Ausgliederung entscheiden: Dietrich ist wie die anderen Führungskräfte des Vereins ein Befürworter der unter Vorgänger Wahler angestoßenen Ausgliederung der Profiabteilung in eine AG. Nach dem Abstieg lag die Sache erst einmal auf Eis. Weil andere Dinge Priorität hatten und wegen der schwierigen Berechnung des Unternehmenswertes in der 2. Bundesliga. Aber es muss zeitnah eine Entscheidung her. Die Unsicherheit über die strategische Ausrichtung des VfB lähmt. Da sind sich Befürworter und Gegner einig.

Satzungsänderung überarbeiten: Eine Lektion, die die VfB-Führung am Sonntag lernte: Zukünftige Satzungsänderungen müssen besser vorbereitet werden. Sie legte der Versammlung ein Paket vor, das mehrere Änderungen beinhaltete – welche, denen einzelne Mitglieder zustimmten, und andere, die sie ablehnten. So wurde der Antrag komplett und deutlich abgeschmettert. Bis zur nächsten Mitgliederversammlung haben Dietrich und Co. Zeit, einen neuen, besser vorbereiteten Versuch zu unternehmen.

Den Sport stärken: Ziel aller Bemühungen ist, dass die Mannschaft möglichst oft gewinnt. Der Hinweis darauf gehört nicht nur zum Standardrepertoir von Sportvorstand Jan Schindelmeiser. Entsprechend muss der neue Präsident, bei allen strategischen Gedanken, den für das Profi-Team zuständigen Kräften um Schindelmeiser und Trainer Hannes Wolf den Rücken stärken, ihnen Entscheidungsfreiheiten lassen – und dafür sorgen, dass die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen weitere Investitionen in die Mannschaft ermöglichen. Denn nach Wahlers Scheitern würde Dietrich zu gerne als Stuttgarter Wiederaufstiegspräsident in die Geschichte eingehen.