Hier grüßt der neue Präsident des VfB Stuttgart. Wolfgang Dietrich wird auf der Mitgliederversammlung mit 57,2 Prozent der Stimmen gewählt. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Sigor Paesler

Stuttgart - Es war 17.46 Uhr, beinahe sechs Stunden nach Versammlungsbeginn, als Wolfgang Dietrich erneut ans Mikrofon trat. Es gab laute Pfiffe und Buhrufe, nicht die ersten an diesem Tag. „Danke für ihr Vertrauen“, sagte der 68-Jährige. „Ich verspreche, dass ich alles tun werde, um der Präsident aller VfB’ler zu sein. Auch von denjenigen, die mich heute Spalter heißen und sich fragen sollten, wer eigentlich spaltet.“

Dietrich war gerade von den Mitgliedern des Fußball-Zweitligisten VfB Stuttgart mit 57,2 Prozent der Stimmen zum neuen Präsidenten gewählt worden. Dem vierten innerhalb der vergangenen fünf Jahre. Er hat seit seiner Nominierung als Kandidat des VfB-Aufsichtsrates einiges einstecken müssen, aber auch ausgeteilt. Wie in diesem Satz kurz nach seiner Wahl anschaulich wurde.

Es war der denkwürdige Schlusspunkt eines denkwürdigen Wahlkampfes. Und einer denkwürdigen Mitgliederversammlung. Diejenigen der anwesenden 2952 der insgesamt gut 48 000 Mitglieder, die den früheren Sprecher des Bahnprojekts Stuttgart 21 nicht an der Spitze des Traditionsvereins haben wollten, waren gestern in der Minderheit. Aber: Der Verein bleibt gespalten.

Es war eine lange Sitzung. Die noch länger geworden wäre, wenn nach den obligatorischen Rechenschaftsberichten - unter lautstarkem Protest - nicht ein Antrag auf Beendigung der Aussprache angenommen worden wäre. Da waren fünf von 25 angekündigten Beiträgen gesprochen, was schon 75 Minuten gedauert hatte.

„Der VfB ist auf Kurs geblieben“

Es war eine von Emotionen geleitete Sitzung. Eine, die zeigte, in welch schlechtem Zustand sich der VfB befindet. Nicht wirtschaftlich, in diesem Bereich hat der Verein den Abstieg aus der Bundesliga erstaunlich gut weggesteckt (siehe Text unten). Auch sportlich geht es aufwärts, weshalb die Minuten, in denen Stadionsprecher Holger Laser den neuen Trainer Hannes Wolf auf der Bühne interviewte, zu den harmonischsten der am Ende siebenstündigen Versammlung gehörten. Wolf kommt an, nicht erst seit dem jüngsten 4:0-Sieg gegen die SpVgg Greuther Fürth.

Teile der Fans und der Vereinsführung sind tief zerstritten. Andere sind auch unzufrieden, aber froh, dass es überhaupt welche gibt, die die Ärmel hochkrempeln. Und die das auch in den schweren Wochen nach dem Niedergang in die 2. Bundesliga taten.

Selbstkritisch gaben sich die Verantwortungsträger. Wie Stefan Heim, der die Versammlung leitete. „Wir haben verstanden“, sagte der Finanzvorstand hinterher angesichts der Tatsache, dass sowohl dem Vorstand als auch dem Aufsichtsrat die Entlastung verweigert und dass eine angestrebte Satzungsänderung deutlich abgelehnt wurde. Und wie Marketingvorstand Jochen Röttgermann, der eine „Vertrauenskrise zwischen Vorstand und Mitgliedern“ einräumte und erklärte: „Wir haben Fehler gemacht, sonst wären wir nicht abgestiegen.“ Aber dann kämpferisch hinzufügte: „Der VfB ist auf Kurs geblieben. Wirtschaftlich und sportlich.“

Die ersten Buhrufe gab es schon acht Minuten nach Beginn der Versammlung, als Heim erklärte, dass der Antrag eines Mitgliedes auf Abwahl des Aufsichtsrates nicht auf die Tagesordnung genommen wurde. „Was der Verein jetzt am dringendsten braucht, ist Ruhe und Kontinuität“, lautete die Quintessenz seiner Begründung. Die Mitglieder folgten Heims Argumentation: Bei der anschließenden Abstimmung, ob der Antrag nachträglich aufgenommen werden sollte, votierten 60,9 Prozent dagegen - 50 Prozent Ja-Stimmen wären nötig gewesen.

Dennoch wirkte Martin Schäfer, der Chef des Kontrollgremiums, bei seiner Rede äußerst angespannt. Ganz anders als sein Vorredner, Sportvorstand Jan Schindelmeiser, der eloquent, bescheiden und nur selten auf seine Aufzeichnungen schauend seine sportlichen Vorstellungen dargelegt hatte. Die Anfeindungen der vergangenen Wochen sind nicht spurlos an Schäfer vorbeigegangen. Aufgekratzt und emotional waren seine Ausführungen. Je länger er am Rednerpult stand, desto mehr ging er in die Offensive. Mehrfach lobte er die Fans für die Unterstützung der Mannschaft, um dann den Kritikern zu entgegnen: „Manche Leute schreiben in den Foren, was ihnen gerade ins Hirn tröpfelt. Die würden am liebsten alle 24 Monate alle Verantwortungsträger zum Teufel jagen.“ Die Reaktionen im Publikum waren entsprechend.

Doch Schäfer hatte noch nicht genug. Über ein entsprechendes Plakat, das in der Cannstatter Kurve zu sehen gewesen war, sagte er: „Wir verpissen uns dann, wenn wir den Verein dorthin gebracht haben.“ Wohin genau, führte er nicht aus. „Der VfB ist voll handlungsfähig. Wir haben längst den Krisenmodus verlassen. Wir gehen gestärkt aus der Krise hervor“, rief der Würth-Manager den Mitgliedern entgegen.

Am Ende ging es aber nur noch um Dietrichs Wahl. „Wir brauchen einen, der eint“, war der letzte Appell der Gegner, stellvertretend vorgetragen von Benjamin Nagel von der Ultra-Gruppierung Commando Cannstatt, bevor es zur Abstimmung kam. 42,8 Prozent stimmten gegen den einzigen Kandidaten. Dietrich ist der neue VfB-Präsident.

Der Wahlkampf ist vorbei, Dietrich muss aber weiter Überzeugungsarbeit leisten: „Ich hoffe, dass viele irgendwann sagen: So schlimm ist der Typ gar nicht, wie ich gedacht habe. Ich gebe nicht auf.“ Bei seiner Entlastung in vier Jahren, wiederholte er, möchte er mehr Stimmen bekommen als gestern bei seiner Wahl.

Wolfgang Dietrich

Geboren: 24. Juli 1948 in Stetten im Remstal.

Familienstand: geschieden, zwei Söhne, neue Lebenspartnerin.

VfB-Mitglied: seit 1974.

Beruf: Unternehmer.

Hobbys: Fußball, Tennis, Golf.