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Stuttgart – Der Abstiegsfrust ist abgeschüttelt, die volle Konzentration bei den Zweitliga-Fußballern des VfB Stuttgart gilt der am 8. August beginnenden Saison. Noch aber ist der Kader des VfB nicht stark genug, um den angestrebten direkten Wiederaufstieg zu schaffen – dieser Meinung ist auch Kapitän Christian Gentner. Der 30-Jährige sieht aber auch positive Entwicklungen, weshalb er insgesamt „vorsichtig optimistisch“ ist, wie er im Interview sagt.

Herrscht in der Vorbereitung Routine wie immer oder ist es nach dem Abstieg doch ein bisschen anders?

Gentner: Es ist bislang kein großer Unterschied. Wir haben einen neuen Trainer, der die Vorbereitung anders angeht, als es auch ich gewohnt war. Wir machen nahezu alles mit dem Ball, machen alles spielnah. Das ist ein anderer Ansatz, der bei den Spielern sehr gut ankommt. Trainer Jos Luhukay hat schon mehrfach bewiesen, dass er so eine Situation nach einem Abstieg bewerkstelligen kann.

Ist ist es nicht auch eine Gefahr, dass alle denken, er wird mit dem VfB auch den vierten Bundesliga-Aufstieg seiner Trainerkarriere schaffen?

Gentner: Ich hoffe natürlich nicht, dass sich irgendjemand zu sehr darauf verlässt. Jedem muss klar sein, dass das kein Spaziergang wird. Das wird brutal, das wird für viele eine sehr, sehr große Umstellung. Es wird in der 2. Bundesliga ein anderer Fußball gespielt. Es sind andere Stadien, die zum Teil enger sind und in denen die Platzverhältnisse auch mal schlechter sind. Mit Schönspielerei durch die Liga zu spazieren, wird nicht funktionieren.

Sind Sie selbst schon richtig angekommen und haben sich vergegenwärtigt, dass Sie jetzt ein Zweitligaspieler sind?

GentnerAuch ich muss erst beweisen, dass ich das kann. Ich glaube, dass ich mich gut vorbereitet habe durch Gespräche mit unseren neuen Spielern, die die Liga kennen und durch das Training in den vergangenen Wochen. Ich muss ehrlich sagen: Ich freue mich jetzt auf die Herausforderung. Das ist etwas Neues für uns.

Wie lange hat es gedauert, die Situation als Herausforderung zu sehen, wie lange war der Abstiegsfrust noch da?

Gentner: Das kann ich nicht genau sagen. Mit der ersten Trainingsarbeit fokussiert man sich wieder auf ein Ziel. Man steht auf dem Platz, man hat neue Kollegen, man bereitet sich konzentriert auf den Saisonstart vor. So lange hat es nicht gedauert.

Ab dem ersten Spieltag wird für den VfB einiges anders sein als in den vergangenen Jahren.

Gentner: Wir sind in einer anderen Rolle. Wir gehen für viele als Mitfavorit in die Saison. Dieser Rolle wollen und müssen wir gerecht werden. Dass das nur mit Qualität möglich ist, ist selbstverständlich. Der Kader wird noch verstärkt werden. Daran arbeitet das Management. Die Spieler, die momentan zum Kader gehören, sind aber mit hundertprozentigem Engagement dabei. Der eine oder andere der jungen Spieler hat sich bislang wesentlich schneller entwickelt, als es zu erwarten war.

Der Kader wird zum Saisonstart noch nicht stehen, das Transferfenster schließt erst drei Wochen später. Das ist eine gewisse Unsicherheit.

Gentner: Das geht vielen anderen Vereinen auch so. Es ist immer schwierig vor dem Saisonstart zu sagen, wo man steht. Wir konnten wichtige Spieler halten, haben aber auch viele Stammkräfte verloren. Trotz allem ist ein gewisser Kern da, der auf der einen oder anderen Position Ergänzungen noch gut gebrauchen kann. Nur Emiliano Insua und Florian Klein sind später in der Vorbereitung dazu gekommen, der Rest arbeitet seit dem Trainingsstart zusammen. Das ist auch ein Vorteil. Aber ich möchte keine zu große Euphorie verbreiten. Sportvorstand Jan Schindelmeiser hat ja auch betont, dass wir mit einigen Dingen spät dran sind.

Jan Schindelmeiser hat sehr deutlich gesagt, dass der Aufstieg mit dem momentanen Kader nicht erreicht werden kann. Hat Sie diese Aussage erschrocken.

Gentner: Ich bin nicht erschrocken. Man sieht ja im Training, dass wir mit dem momentanen Kader dem nicht gerecht werden können, was von außen erwartet wird – dass wir der FC Bayern München der 2. Bundesliga sind. Das sind wir im Moment nicht. Durch die Rahmenbedingungen gehören wir sicherlich zum Kreis der Mannschaften, die aufsteigen wollen und können. Aber ich weiß, dass alles daran gesetzt wird, noch Qualität in die Mannschaft dazuzubekommen.

Trainer Luhukay sagte vergangene Woche im Interview mit unserer Zeitung, er habe es noch nie erlebt, dass nach einem Abstieg so viele Spieler einen Verein verlassen hätten. Andererseits ist eine gewisse Achse von Torhüter Mitchell Langerak über Timo Baumgartl, Sie selbst, Alexandru Maxim bis zu Stürmer Simon Terodde vorhanden. Wie ist Ihre Einschätzung?

Gentner: Es gilt sicherlich beides. Wir haben einen Qualitätsverlust, weil wir viele Stammspieler verloren haben. Andererseits ist diese Achse vorhanden, an der sich andere Spieler orientieren können. Es sind wichtige Spieler geblieben und es ist Qualität dazugekommen, etwa durch Simon Terodde, der für die 2. Bundesliga ein herausragender Stürmer ist – auch durch seine Persönlichkeit. Er will eine tragende Rolle spielen.

Gibt es noch andere Spieler, die das können?

Gentner: Auch Jean Zimmer hat in Kaiserslautern gezeigt, dass er ein hervorragender Zweitligaspieler ist. Er hatte keinerlei Anpassungsschwierigkeiten. Anto Grcic ist für einen 19-Jährigen unheimlich weit. Er hat große Fähigkeiten, eine enorme Dynamik. Und unser neuester Neuzugang Hajime Hosogai ist vom Charakter und Typ her eine echte Verstärkung. Über ihn kann auch ich persönlich sagen, dass er als Gegenspieler immer unangenehm war – fair, aber unangenehm. Von daher bin ich froh, dass er jetzt in meiner Mannschaft spielt.

Was ist zum Beispiel  mit Spielmacher Alexandru Maxim, der in der Vergangenheit keine so große Rolle im Kader gespielt hat?

Gentner: Er hat hier lange auf seinen Durchbruch gewartet. Es gab bei ihm positive Phasen und Rückschläge. Auch er wird sich an die 2. Bundesliga anpassen und ein Stück weit umstellen müssen – ohne seine fußballerische Genialität zu verlieren, die wir benötigen, um auch mal enge Spiele zu entscheiden. Ich denke, er hat gemerkt, dass er eine wichtigere Rolle in der Mannschaft annehmen und sich nicht herausnehmen kann.

Die Fans sind in Vorleistung getreten. 4000 waren beim Trainingsauftakt, viele sind mit ins Trainingslager nach Grassau gereist, für das Auftaktspiel gegen den FC St. Pauli wurden 45 000 Karten verkauft. Wie kommt das bei der Mannschaft an?

Gentner: Natürlich überragend. Das müssen wir mit Freude betrachten und schauen, dass wir es nicht als zu großen Druck empfinden. Natürlich ist die Erwartungshaltung der Fans groß, der Vertrauensvorschuss ist enorm. Die Atmosphäre im Spiel gegen St. Pauli wird kein Unterschied zu einem Bundesligaspiel sein. Darauf müssen wir uns freuen und wir müssen die Begeisterung am besten mit einem guten Start weitertragen.

Aber es ergibt sich daraus eine gewisse Fallhöhe. Wenn der Start nicht nach Wunsch verlaufen sollte, kann die Stimmung schnell umschlagen.

Gentner: Das ist richtig. Deshalb will ich zwar nicht zu sehr auf die Euphoriebremse treten – aber wir werden nicht alle unsere Heimspiele mit drei Toren Unterschied gewinnen. Wir haben einen großen Umbruch, entscheidend wird sein, dass wir am Ende der Saison unter den Mannschaften stehen, die aufsteigen.

Welche Teams sind die Hauptkonkurrenten im Kampf um den Aufstieg?

Gentner: Viele. Ich glaube, die Liga ist sehr, sehr ausgeglichen. Hannover 96 ist nach dem Abstieg sicher ein Kandidat, der wieder hoch möchte. Aber die 2. Bundesliga hat in den vergangenen Jahren so viele Überraschungen hervorgebracht etwa mit dem SC Paderborn oder Darmstadt 98. Daher ist es ganz schwierig, das zum jetzigen Zeitpunkt einzuschätzen.

Seit der Meisterschaft 2007 ging es für den VfB permanent abwärts. Kann der Abstieg auch eine Chance sein? Es gibt Beispiele wie Borussia Mönchengladbach oder jetzt auch der 1. FC Köln, die gestärkt daraus hervorgegangen sind.

Gentner: Darüber kann man in drei bis fünf Jahren sprechen. Es gibt auch Negativbeispiele, wie Kaiserslautern, Karlsruhe oder 1860 München, die seit Jahren in der 2. Bundesliga festhängen. Aber es gibt es keine zwei Meinungen: Der VfB ist ein Bundesligaverein, der da oben hingehört und da schnellstmöglich wieder hin muss. Aber das Beispiel Gladbach wäre der absolute Optimalfall. Es gibt leider keinerlei Garantie, dass man das auch erreicht.Wie groß wird die Umstellung sein, was den Spielplan betrifft?

Gentner: Die Abendspiele, von denen wir zu Beginn einige haben, hatten wir ja auch in der Bundesliga. Für mich waren das immer Highlights, unter Flutlicht kommt  gleich eine besondere Atmosphäre auf. Die 13.30-Uhr-Spiel sind eher die, bei denen man einen anderen Tagesablauf haben wird. Das ist etwas Neues. Aber auch da wird das Trainerteam die richtigen Lösungen haben.

Trotz der Euphoriebremse verströmen Sie eine Menge Zuversicht.

Gentner: Weil es Mut macht, wie die Jungs im Training dabei und lernwillig sind und wie uns das Umfeld trägt. Das macht mich vorsichtig optimistisch. Aber wie gesagt: die kommende Saison wird kein Spaziergang.

Das Interview führte Sigor Paesler.