VfB-Fans bei der Aufstiegsparty des VfB Stuttgart auf dem Schlossplatz Foto: Hauenschild - Hauenschild

Von Sigor Paesler

Stuttgart – Singen kann Simon Terodde nicht. Schon gar nicht, wenn er heiser ist. Die VfB-Fans auf dem Rasen der Mercedes-Benz-Arena brauchten jedenfalls ein paar Sekunden, bis sie erkannten, welchen Gesang der Stürmer des VfB Stuttgart anstimmte. Dann aber schmetterten sie aus Leibeskräften mit. Wie schon vorher, als Kapitän Christian Gentner bei deutlich besserer Stimme die Melodie vorgegeben hatte. Alle Anspannung war von den VfB-Profis gewichen. Ihre Anhänger hatten die Mercedes-Benz-Arena schon lange vor dem Anpfiff des letzten Saisonspiels der 2. Bundesliga zur Partyzone gemacht. Es wird für einige Zeit das letzte Zweitligaspiel des VfB gewesen sein: Durch den 4:1 (1:0)-Sieg gegen die Würzburger Kickers kehren die Schwaben ein Jahr nach dem bitteren Abstieg als Meister in die Bundesliga zurück.

VfB Stuttgart - Würzburger Kickers 4:1 (1:0)

Das Spiel gegen die Würzburger, die in die 3. Liga absteigen, war in der ersten Hälfte so schwer wie die gesamte Saison. Die letzte halbe Stunde war Party pur. Zunächst im Stadion, anschließend mit den 40 000 Fans nebenan auf dem Cannstatter Wasen. Dass die Übergabe der Meisterschale nicht auf dem Spielfeld stattfinden konnte, weil die Anhänger den Rasen gestürmt hatten, war schnell vergessen. Und nur manche erinnerten sich in einem stillen Moment an das letzte Mal, als die VfB-Fans den Innenraum gestürmt hatten – es war vor einem Jahr am vorletzten Spieltag der Abstiegssaison. Und der Grund war Wut und nicht Freude.

VfB Stuttgart - FC Würzburger Kickers
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Die Stimmung glich eher der vor zehn Jahren, als die Stuttgarter Fußballer die echte Meisterschale überreicht bekommen hatten. Immerhin hielt Gentner im Gegensatz zum damaligen Kapitän Fernando Meira die Trophäe richtig herum. Der VfB ist nicht deutscher Meister. Der Verein ist zurück im Oberhaus und hat damit den Schaden repariert, der vor einem Jahr verursacht wurde. Nach jahrelangem Niedergang. Deshalb war Sportvorstand Jan Schindelmeiser im Moment des Triumphes auch ein bisschen nachdenklich. „Der Abstieg hat zumindest dazu geführt, dass der Leidensdruck so groß war, etwas zu verändern“, sagte er. „Das war eine absolute Zäsur.“
Doch auch Schindelmeiser wird sich den einen oder anderen Tag gönnen, eher er der Frage nachgeht, wie der Kader verbessert werden muss, um in der kommenden Bundesliga-Saison zu bestehen.
Trainer Hannes Wolf saß in der Pressekonferenz, die Haare feucht, und fragte fröhlich: „Soll ich das Spiel jetzt analysieren? Da hat ja jetzt keiner Bock drauf.“ In diesem Moment stürmten einige Spieler um Angreifer Daniel Ginczek in den Raum und überschütteten Wolf mit Bier. Zum wiederholten Mal. Aber auch der Coach hatte nachdenkliche Momente. Ohne seine Erfolge zuvor als Jugendtrainer in Dortmund sei das Erlebnis von gestern nicht möglich gewesen, betonte er. Das erst hatte ihn nach Stuttgart gebracht: „Ich muss mich ein bisschen kneifen.“
Es war ein meisterliche Leistung der Mannschaft, angesichts der hervorragenden Ausgangslage – drei Punkte und zehn Tore Vorsprung auf den Relegationsplatz drei – und der Euphorie in der ganzen Region noch einmal eine so konzentrierte Leistung abzurufen. „Wir wollten unbedingt nochmal gut spielen“, erklärte Wolf. Und dafür hatte er sich etwas ausgedacht. Wolf bewies bei Aufstellung und Taktik Mut. Nachdem er zuletzt zwei Mal dieselbe Startelf gebracht hatte, ersetzte diesmal Matthias Zimmermann im defensiven Mittelfeld Ebenzer Ofori – ein positionsbezogener Wechsel. In der Offensive brachte der Trainer zum zweiten Mal Daniel Ginczek von Beginn – bei der 0:1-Niederlage in Fürth hatte das nicht funktioniert. Im Gegensatz zum Auftritt in Fürth spielte der VfB diesmal jedoch mit einer echten Doppelspitze, Alexandru Maxim rückte nach links.
Der VfB übernahm die Initiative. Doch die Kickers, die noch um den Klassenverbleib kämpften, suchten ihre Chance. In der 11. Minute musste VfB-Keeper Mitchell Lan-gerak zwei Mal glänzen, um bei einer Doppelchance von Peter Kurzweg und Nejmeddin Daghfous den Rückstand zu verhindern.
Dann fiel die Stuttgarter Führung durch einen satten 20-Meter-Knaller von Zimmermann. „Ich wusste die ganze Woche über, dass ich treffen würde“, sagte der Schütze über seinen ersten Saisontreffer. Das Tor tat den Stuttgartern gut, von Würzburg kam außer großem Einsatz nicht mehr viel.
Kurz nach dem Wechsel vergab Terodde innerhalb von wenigen Minuten gleich drei Mal. In der 59. Minute sahen dann alle, wie gut er und Ginczek harmonieren können: Ginczek lief auf das Tor zu, legte quer und Terodde schob zum 2:0 ein. „Nie mehr zweite Liga“ und „oh, wie ist das schön“, war aus tausenden Kehlen zu hören. Tobias Schröcks Anschlusstreffer in der 78. Minute zum 1:2 störte die Stimmung nur kurz, Terodde traf wieder nach Pass von Ginczek nur zwei Minuten später zum 3:1. Und auch Ginczek erzielte noch sein Tor (89.). Der Rest war Vorfreude auf die große Wiederaufstiegsparty.