VfB-Trainer Hannes Wolf Foto: dpa - Archivbild: dpa

Stuttgart - Die Verpflichtung von Hannes Wolf als Trainer des Fußball-Zweitligisten VfB Stuttgart war eine Überraschung. Durch sein überzeugendes Auftreten - und vor allem die Art und Weise, wie die Mannschaft zuletzt die SpVgg Greuther Fürth mit 4:0 besiegte, eroberte der frühere Dortmunder Jugendtrainer die Herzen der Fans im Sturm. Der 35-Jährige will mit dem VfB jedoch langfristig Erfolg haben - und kümmert sich deshalb täglich akribisch um die Trainingsarbeit, wie er im Interview erklärt.

Nach dem 4:0-Sieg gegen die SpVgg Greuther Fürth sagten viele, es sei bereits die Handschrift von Hannes Wolf zu erkennen. Was bedeutet Handschrift eigentlich?

Wolf: Das ist ein spannendes Thema, weil dabei immer auch mit reinspielt, was der Gegner anbietet. Es haben alle Facetten des Spiels eine Bedeutung. Wenn der Ball in der Luft ist, wenn man einen Eckball bekommt, wenn es zu Zweikämpfen kommt. Aber es ist eben auch Ballbesitzspiel, was wir gegen Fürth gut hinbekommen haben. Wir versuchen, jeder Facette des Spiels gerecht zu werden und trotzdem unsere Art von Fußball einzubauen.

Das bedeutet ein hohes Maß an Flexibilität. Den Wolf-Fußball gibt es also nicht?

Wolf: Den gibt es nicht. Der war auch in den vergangenen Jahren immer unterschiedlich. Die drei Finals um die deutsche Jugendmeisterschaft mit Dortmund haben wir mit drei unterschiedlichen Ansätzen gewonnen. Es gibt keine Blaupause. Am Samstag in Dresden wird es eine andere Situation sein als im Spiel gegen Fürth. Ich bin in meinem Ansatz auf keinen Fall dogmatisch, sondern alles ist darauf ausgerichtet, was in diesem bestimmten Moment hilft. Und das kann sehr viel sein.

Was ist Ihnen wichtiger: Ihre Vorstellungen von Fußball auf den Platz zu bringen oder die einzelnen Spielertypen im Kader optimal einzusetzen?

Wolf: Wir versuchen ein Trainingsprogramm zu erstellen, in dem alles vorkommt. Das ist sehr komplex, auch, weil man nichts vergessen will. Die Themen sind es, die das Training ergeben, also auch die Stärken und Schwächen unserer einzelnen Spieler. Es sind drei Faktoren: Die Analyse, die Idee, wie wir spielen wollen, und der nächste Gegner. Deshalb ist das Training immer unterschiedlich.

Und wie man beobachten kann, ist es anspruchsvoll.

Wolf: Wir wollen die Spieler darauf vorbereiten, das Spiel auszuhalten. Denn mit dem Warmmachen, der Ansprache und der Halbzeit dauert es 135 Minuten, in denen sie richtig unter Druck stehen. Um das körperlich und mental durchzustehen, muss man viel gewohnt sein. Deshalb sind auch unsere Ansprüche im Training sehr hoch.

Die Reaktionen auf Ihre Verpflichtung waren sehr positiv, nach dem Sieg gegen Fürth wurden Sie geradezu gefeiert . . . .

Wolf: Grundsätzlich ist die Freundlichkeit und die Sympathie, die uns entgegenschlägt, großartig. Das ist erst einmal einfach schön. Wir sind uns aber auch darüber bewusst, dass wir gerade erst angefangen haben und dass es keinen Grund gibt, uns feiern zu lassen. Wir wollen Ergebnisse liefern.

Wie empfinden Sie die Erwartungshaltung?

Wolf: Die Erwartungen rund um den Verein sind teilweise gigantisch. Das muss man bis zu einem gewissen Punkt als Trainer wahrnehmen - und dann anders an die Mannschaft weitergeben. Mit ihr besprechen wir, was für das nächste Spiel wichtig ist.

Die Leute im Umfeld erwarten nichts anderes als den direkten Wiederaufstieg in die Bundesliga.

Wolf: Es hilft uns jetzt nicht, über den Aufstieg nachzudenken. Das ist zu unkonkret. Jetzt müssen wir darüber nachdenken, was und wie wir trainieren und wie wir das nächste Spiel angehen. Deshalb ist der Aufstieg derzeit nicht mein Thema. Das heißt nicht, dass ich nicht aufsteigen möchte. Es ist ein Traum, der darüber schwebt. Dass es bei den Fans und den Medien das Thema ist, über das sie dauernd reden, ist völlig in Ordnung. Aber wenn ich ins Training gehe, geht es darum, wie wir besser werden.

Wie gehen Sie persönlich mit dem Druck um?

Wolf: Es gibt Berufe, in denen die Verantwortung deutlich größer ist - als Busfahrer oder Arzt etwa. Trotzdem geben wir natürlich alles, um unserer Verantwortung gerecht zu werden. Der Druck in Dortmund im Nachwuchsbereich war auch sehr groß, besonders bei den Finalspielen, da geht es nur um gewinnen oder verlieren. Ausbildung wurde zu einem großen Teil über Ergebnisse definiert. Es ist ja nicht so, dass das hier mein erster Trainerjob ist. Ich habe schon gelernt, mit Druck umzugehen.

Inwieweit haben Sie sich im Vorfeld Ihres Engagements beim VfB darüber Gedanken gemacht, dass in der jüngeren Vergangenheit viel Unruhe im Verein herrschte?

Wolf: : Es ist schwierig, die Entwicklung eines Vereins aus der Distanz zu beurteilen. Wir wussten aber um den Hintergrund des Vereins: die Substanz, die Menschen, die dahinter stehen, die Wirtschaftskraft der Region, das Stadion. Alles andere zu beurteilen, ist nicht meine Aufgabe. Ich will mich auf das konzentrieren, was sportlich beeinflussbar ist. Es gibt keine Garantie für Erfolg, aber wir wollen an den Rädchen drehen, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen. Das ist am Ende auch, was dem VfB Stuttgart hilf.

Wie haben Sie den VfB in der Vergangenheit wahrgenommen?

Wolf: : Der VfB begleitet ja jeden, der sich mit Fußball beschäftigt, schon seit Jahren. Wenn du das Wappen siehst und die Menschen erlebst, dann spürst du, dass das einfach ein riesengroßer Club ist, der in seiner Region eingebettet ist. Und der ein Verein ist, der über Jahre schwierige Phasen hatte. Wenn man dann die Chance bekommt, bei diesem Verein in einer verantwortungsvollen Aufgabe zu arbeiten, ist es auch die Möglichkeit, dem Verein zu helfen, wieder auf einen besseren Weg zu bekommen.

Es wird hier viel von Tradition gesprochen.

Wolf: Der VfB hat eine große Strahlkraft. Aber die Tradition kann auch ein Problem sein, wenn man den aktuellen Entwicklungen nicht Rechnung trägt. Das heißt nicht, dass die Tradition nicht wichtig ist. Aber das Aushängeschild des VfB Stuttgart darf nicht sein, was vor zehn Jahren passiert ist.

Im Fußballgeschäft geht es auch oft traditionell zu. Aber zuletzt haben sich für junge Trainer wie Sie Türen geöffnet.

Wolf: Die älteren Trainer waren ja auch mal jung. Es gibt ja nicht einen Weg zum Bundesligatrainer. Wenn man als Fußballer eine Karriere im Spitzenbereich hatte und bereit ist, den Beruf Fußballtrainer zu lernen, dann hat man natürlich Vorteile. Wenn man sich nur an dem festhält, was man als Spieler erlebt hat, dann nicht. Jeder muss es lernen.

Sie sagten, die Spieler in Stuttgart seien Ihnen mit großer Offenheit begegnet. Reagieren erwachsene Profis anders als Jugendspieler?

Wolf: Sie reagieren unmittelbarer, weil es bei Jugendspieler noch viel mehr Unsicherheiten im Leben gibt, weil sie parallel noch ihre schulische Ausbildung absolvieren. Der Zugang zu Erwachsenen ist deshalb manchmal leichter.

Inwiefern hilft es bei Ihrer Arbeit, ein paar Leitwölfe wie Kapitän Christian Gentner in der Mannschaft zu haben?

Wolf: Im Nachwuchsbereich haben wir schon Spieler trainiert, die zwar in einer anderen Lebensphase waren, die für ihr Alter aber schon extrem viel Verantwortung übernommen haben. Es ist schwierig, Einzelne zu nennen, aber Felix Passlack ist natürlich schon so ein Prototyp eines Führungsspielers im Jugendbereich. Wir haben Respekt vor den Karrieren aller Spieler, auch der erfahrenen, aber den sportlichen Anspruch haben wir an alle. Das wollen wir aber nicht gegen die Spieler vermitteln, sondern mit ihnen. Dann kann man auch von erfahrenen Spielern Veränderungen erwarten.

Stimmt die Struktur im VfB-Kader?

Wolf: Ja. Wir haben am sechsten Spieltag eine Mannschaft auf Platz zwei übernommen. Das ist ja eine Situation, die es eigentlich nicht gibt. Normalerweise übernimmst ein Trainer am sechsten Spieltag eine Mannschaft mit vielleicht einem Punkt. Das zeigt schon, dass die Qualität des Kaders gut ist. Natürlich kann man in Zukunft darüber nachdenken, was man optimieren kann. Aber wir sind mit dem, was wir hier vorgefunden haben, total zufrieden und haben maximal Lust, mit diesen Spielern zu arbeiten.

Viele der Spieler, die Sie beim VfB trainieren, kommen aus der gleichen Generation wie Sie. Es sieht nicht danach aus, als sei das ein Problem?

Wolf: Überhaupt nicht. Ich habe mit 23 Jahren schon Spieler trainiert, die deutlich älter waren als ich. Ich war damals im Studium, und das waren gestandene Oberligaspieler, die im Beruf waren und teilweise Kinder hatten. Das fand ich anfangs problematisch, aber es hat dann super funktioniert. Sich auf einer respektvollen Ebene zu treffen, sehe ich überhaupt nicht als Problem, das ist völlig unabhängig vom Alter. Und hier bin ich ja trotzdem der Älteste.

Sie denken natürlich vor allem an das nächste Spiel. Aber wo wollen Sie die Mannschaft in ein oder zwei Jahren sehen?

Wolf: Das kann ich nicht sagen. Man neigt manchmal dazu, ein bisschen zu wissen und sich den Rest dazu zudenken. Das will ich nicht.

Sie sind aber auch einer, der strategisch denkt. Welche Vorstellungen haben Sie für die mittelfristige Zukunft des gesamten Vereins?

Wolf: Wir müssen berücksichtigen, dass sich die Vereinslandschaft in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren total professionalisiert hat. Viele Vereine haben sich neu erfunden, haben alles auf den Kopf gestellt und Trainingszentren gebaut. Das ist der Grund, warum viele Traditionsvereine ein bisschen straucheln: Weil sie zwar vieles haben, aber auch von anderen überholt wurden, was die Strukturen betrifft. Wir haben auch die Verantwortung, den VfB Stuttgart zukunftsfähig zu machen.

Was heißt das konkret?

Wolf: Zum Beispiel die Platzbedingungen der Jugend und der Profis zu verbessern, sonstige Infrastruktur-Projekte voranzutreiben. Das sind Themen, um die man sich kümmern muss. Dass wollen wir gemeinsam tun. Wir müssen analysieren und mittel- und langfristige Projekte anstoßen, um den VfB Stuttgart zukunftsfähig zu machen. Denn die Tradition springt hier überall aus den Wänden und das fühlt man auch. Aber das hilft nicht, um in der Zukunft sportlich erfolgreich zu sein.

Früher waren in der Jugend Dortmund und Stuttgart führend.

Wolf: Es lief vor ein paar Jahren auch in Dortmund nicht gut. Ich habe dort in den sechs Jahren auch schwierige Phasen erlebt. Nach der Finanzkrise 2006 war die Entwicklung der Nachwuchsarbeit stehengeblieben. Erst in den vergangenen Jahren wurde investiert, um das wieder umzukehren. Es wurden Plätze gebaut, wieder eine U-16-Mannschaft eingeführt, der Trainingsroboter Footbonaut gebaut, Athletiktrainer und Pädagogen eingestellt.

Wie weit ist der VfB heute vom BVB entfernt, was die Strukturen betrifft?

Wolf: Hier arbeiten sehr gute Leute. Es wird aber irgendwann das Thema aufkommen, ein entsprechendes Trainingszentrum zu bauen. Die Trainingsplätze der Jugend sind nicht gut. Wenn du Spielgeschwindigkeit entwickeln willst, brauchst du gute Plätze.

Das Gespräch führte Sigor Paesler.

Zur Person

Geboren: 15. April 1981 in Bochum.

Familienstand: verheiratet, zwei Töchter.

Ausbildung: Sportstudium an der Ruhr- Universität in Bochum, Fußballlehrer-Lehrgang in Köln.

Karriere als Spieler: Stürmer, 37 Oberliga-Spiele (elf Tore) für den 1. FC Nürnberg II.

Karriere als Trainer: SG Eintracht Ergste (Kreisliga), ASC 09 Dortmund (Spielertrainer; Bezirksliga bis Verbandsliga), Borussia Dortmund (Co-Trainer U 23, Cheftrainer U 17 und U 19), VfB Stuttgart (2. Bundesliga).