Von Torsten Streib

Wangen - Der 11. Dezember ist für die meisten - wenn sie nicht gerade Geburtstag haben - ein normaler Tag wie jeder andere. In diesem Jahr fällt er übrigens auf einen Sonntag. Wenn es nach Marco Haug ginge, könnte man diesen Tag aber getrost aus dem Kalender streichen - es ist sein Unglückstag. Der 23-jährige Handballer der HSG Oberer Neckar hat sich insgesamt zwei Mal an jenem 11. Dezember das Kreuzband - einmal rechts, einmal links - gerissen. Als ob das nicht genug wäre, riss ihm nochmals das linke Kreuzband - ausnahmsweise nicht an besagtem 11. Dezember. Gründe, mit dem Handball aufzuhören, gebe es also viele - nicht für Marco Haug. „Mich muss man irgendwann vom Feld tragen, freiwillig werde ich wohl nicht mit Handball aufhören“, lacht der Spielmacher der HSG, der in diesem Sommer sein Comeback gab - wieder einmal.

Dabei ist das mit dem vom Feld tragen in seiner langen Leidensgeschichte durchaus schon vorgekommen. Angefangen am 11. Dezember 2010, noch als Jugendspieler. Damals war Haug angeschlagen, hat mittags in der A-Jugend und abends bei den Aktiven aufs Tor geworfen. Dann passierte es bei einem Sprungwurf. „Ich bin wohl doch nicht so hoch gesprungen wie ich dachte, kam ohne Körperspannung auf und bin ohne gegnerische Einwirkung umgeknickt“, erinnert er sich noch ganz genau. Die erste Diagnose war noch vielversprechend, lautete „nur“ Meniskusriss. Beim „Flicken“ beziehungsweise der Arthroskopie stellte sich jedoch heraus: „Nur noch ein Fetzen des Kreuzbands hing dran.“ Der nächste, schwerwiegende Eingriff folgte.

Nach neun Monaten zurück

Nach neun Monaten intensiver Krankengymnastik und hartem Training war Haug dann wieder hergestellt, zurück auf dem Feld und glänzte recht schnell wieder durch dynamische Antritte.

Bis zum 11. Dezember 2012. Da stand das Heimspiel gegen die HSG Cannstatt-Münster-Max-Eyth-See an. Der Obere Neckar schoss ein Tor nach dem anderen. Das für Handballer seltene und phänomenale Ereignis von 40 Torerfolgen schien Sekunden vor Schluss greifbar nahe. Und es schien Haug überlassen, die seltene Tor-Schallmauer zu durchbrechen. Er lief einen Tempogegenstoß, sprang hoch, traf, bekam Bodenkontakt und schrie - nicht vor Begeisterung, sondern vor Schmerzen. „Die Kniescheibe war rausgesprungen, der Sanitäter musste sie durch Strecken erst wieder in die richtige Position bringen.“ Dieses Mal wurde er vom Feld getragen, die Diagnose war ein zweites Mal schockierend: Meniskus- und Kreuzbandriss. Gleich mehrere Eingriffe waren notwendig, denn das Bein ließ sich selbst Monate nach der OP noch nicht strecken. „Es hatten sich Vernarbungen gebildet, die mussten wieder per Arthroskopie entfernt werden.“ Ende Dezember 2013, also nach fast einem Jahr des Zuschauens - „ich bin kein guter Zuschauer“ - war Haug zurück auf der Handballbühne. Dieses Mal für eineinhalb Jahre. 2015, bei einem Turnier in Holland und dieses Mal mit gegnerischer Einwirkung, machte es im Knie rechts erneut krach - klar, das Kreuzband war durch. Und wieder gab es bei der OP Komplikationen. „Eine Schraube zur Befestigung des Bandes brach. Eigentlich hätte ich ein weiteres halbes Jahr auf den nächsten Eingriff warten müssen.“ Ein Arztwechsel verkürzte die Zeit.

Nun so fit wie nie zuvor

Nach insgesamt acht Eingriffen in den vergangenen sechs Jahren greift Marco Haug seit der Vorbereitung auf die aktuelle Saison wieder zum Ball. Seine Beine wirken noch entkräftet, doch dem widerspricht der Maschinenbauingenieur, der bei Mercedes in Hedelfingen in der Getriebe-Fertigung arbeitet. „Ich habe noch nie so viel trainiert wie bei meiner letzten Verletzung, bin topfit und meine Kraft und Koordination sind so gut, dass der Muskel auf jegliche Reize reagieren kann.“

Angst, ob seiner langen Leidensgeschichte, scheint er nicht zu haben, wenn man ihn so spielen sieht. Der 1,77 Meter große und 73 Kilogramm schwere Untertürkheimer geht mit hohem Tempo und Dynamik auf die teilweise baumlangen und kräftigeren Abwehrspieler zu, häufig wird er unfair gestoppt. Beim Hinschauen stockt einem durchaus der Atem - an seiner Spielart will er aber nichts ändern. „Die Zentimeter, die mir fehlen, muss ich durch meine Schnellig- und Wendigkeit ausgleichen. Würde ich anders agieren, wäre ich zu harmlos.“

Der Gedanke an eine erneute, schlimme Verletzung existiert bei Marco Haug nicht. „Nach jedem Comeback ist es mir - anderes als bei so manchem Mitspieler - gelungen, die Verletzung auszublenden. Vielleicht mit ein Grund, warum ich immer noch den Sport ausübe, den ich so liebe.“ Außerdem sei er mit 23 Jahren noch viel zu jung, um „mit Handball aufzuhören und nur Joggen und Radfahren“ zu gehen.

Wie gesagt, der 11. Dezember fällt in diesem Jahr auf einen Sonntag. Glück für Marco Haug: Mit der HSG Oberer Neckar tritt er bereits am Samstag, 10. Dezember, beim TSV Alfdorf/Lorch 2 an.