Im Schlossgarten steht heute ein Überbleibsel des Neuen Lusthauses. Eine solche Freitreppe zierte einst die zwei langen Gebäudeseiten. Quelle: Unbekannt

Von Elke Hauptmann

Stuttgart -Im Stuttgarter Schlossgarten befinden sich heute die Überreste eines der prächtigsten Renaissancebauwerke, das nördlich der Alpen gebaut wurde: das Neue Lustschloss. „Die meisten Menschen nehmen die aufgestellte Freitreppe am Parkrand aber kaum noch wahr, sie laufen achtlos daran vorbei“, stellt Nikolai Ziegler betrübt fest. Dabei verberge sich hinter der Ruine eine fantastische Geschichte. Eine, die der 31-Jährige unbedingt erzählen will. Denn: „Ich würde mir in Stuttgart einen sensibleren Umgang mit Geschichte wünschen.“

Als Doktorand am Institut für Architekturgeschichte der Universität Stuttgart hat er drei Jahre lang das Neue Lusthaus erforscht. Bis dato war wenig über dessen ursprüngliche Gestalt und wechselvolle Geschichte bekannt. Auch die ereignisreiche Entwicklung, die das Gebäude durchmachte, ist weitgehend in Vergessenheit geraten. In einer Ausstellung im Hauptstaatsarchiv rückt der Architekt die Vergangenheit in den Fokus. Schließlich war das Neue Lusthaus „eine der edelsten Schöpfungen deutscher Renaissance, die, wenn wir sie heute noch besäßen, die Hauptsehenswürdigkeit in Stuttgart wäre“, zitiert Ziegler einen Satz von Gustav Wais aus dem Jahr 1954.

Dort, wo sich heute das Kunstgebäude neben dem Neuen Schloss zu behaupten versucht, hatte der Architekt Georg Beer im Auftrag von Herzog Ludwig von Württemberg Ende des 16. Jahrhunderts ein noch nie dagewesenes Festgebäude in die herzoglichen Gärten gestellt. Die Baustelle sei gigantisch gewesen, berichtet Ziegler. 1700 Holzpfähle wurden für das Gebäude in den sumpfigen Boden gerammt, der erste, so ist dokumentiert, vom Herzog höchstpersönlich. Die Arbeitsbedingungen waren so hart, dass sich die Schreiner sogar dagegen auflehnten. Der Bau selbst dauerte von 1584 bis 1593, er kostete drei Tonnen Gold.

Das Lusthaus diente als Ort höfischer Spiele und Vergnügungen. Es repräsentierte den politischen und kulturellen Führungsanspruch des württembergischen Herzogtums - und sollte provozieren: „Der Giebel des Lusthauses war höher als der Giebel der Stiftskirche“, erzählt Ziegler. Die Architektur des Lusthauses war als Attraktion konzipiert: Sowohl die Konstruktion als auch die künstlerische Ausstattung erlangten weit über die Region hinaus Aufmerksamkeit.

Berühmt war das Lusthaus vor allem durch den 60 mal 21 Meter großen Festsaal, der von keiner einzigen Säule unterbrochen war und der von einem eindrucksvollen Tonnendach überwölbt wurde. Für den hölzernen Dachstuhl, der als „technisches Wunderwerk“ galt, wurden Querstreben und Doppelbalken auf raffinierte Weise verbunden - und erstmals verwendete der Zimmermann Elias Gunzenhäuser Schrauben aus Metall.

Aus ganz Deutschland seien Baumeister nach Stuttgart gekommen, um das Lusthaus zu begutachten, erzählt Ziegler. Die Konstruktionspläne seien unzählige Male kopiert worden. Das Gewölbe der Dreieinigkeitskirche in Regensburg sei sogar baugleich nachgebildet worden.

Mit dem Umbau zum Opernhaus im 18. Jahrhundert begann der Niedergang des Bauwerks. Die Innenausstattung des Festsaals wurde vollständig zerstört. Auch danach erfolgten Umbauten, in deren Verlauf immer mehr Teile der originalen Bausubstanz verloren gingen. Mitte des 19. Jahrhunderts dann war das Ende besiegelt. „Ein Lusthaus passte nicht mehr in die Zeit“, berichtet Ziegler. Für König Wilhelm I. seien Bildung und Erziehung die wichtigsten Werte gewesen; ein Lusthaus sei für den pietistischen Herrscher verwerflich gewesen. Also wurde das Lusthaus 1844/45 abgerissen. Dass der Prachtbau dennoch überliefert ist, ist dem Architekten Carl Friedrich Beisbarth zu verdanken. Er war mit den Abbrucharbeiten betraut worden - „und der Einzige, der den Wert des Gebäudes erkannte“, meint Ziegler. 514 Zeichnungen von der Ausstattung, der Fundamentierung, der Baukonstruktion, des Dachwerks und einzelner technischer Bauteile hatte Beisbarth innerhalb eines Jahres angefertigt. „Sie sind so detailgetreu, dass sich anhand der Pläne das Lusthaus neu aufbauen ließe.“

Wiederaufbaupläne

Solche Pläne gab es einst tatsächlich. Zwei Jahre, nachdem das Hoftheater 1902 abgebrannt war, hatte sich sogar eigens ein Verein gegründet, der das Lusthaus wieder aufbauen wollte. Die Pläne dafür waren fertig, doch wie so oft scheiterte das Vorhaben am Geld: Eine Lotterie, mit der man den Neuaufbau finanzieren wollte, kam nicht zustande.

Nein, beeilt sich Ziegler zu sagen, auch er wolle das Bauwerk nicht wieder auferstehen lassen. Ihm reicht es in Miniatur: Zusammen mit 20 Studenten hat er in einjähriger Arbeit ein Modell im Maßstab 1:50 gebaut - aus deutscher Eiche, wie sie einst auch im Gebälk verbaut wurde. Freilich: Die Rekonstruktion kann nicht die ursprüngliche Üppigkeit der Fassaden bieten. Ziegler stört das wenig: Vom Lusthaus seien ja viele Steine erhalten geblieben, die heute im städtischen Lapidarium zu sehen sind. Zudem seien einige Büsten an der Burg Lichtenstein (Kreis Reutlingen) angebracht worden.

Das und mehr ist in der Ausstellung im Hauptstaatsarchiv zu erfahren. Die Schau unternimmt erstmals den Versuch, die heute auf viele Institutionen und Einrichtungen verteilten Archivalien, Fragmente und Zeichnungen ansatzweise wieder zusammenführen und die Entstehung und Erscheinung des einstigen Prachtbaus zu rekonstruieren. Die Exponate vermitteln dem Besucher, warum er in großem Maße die Bewunderung der Zeitgenossen auf sich zog.

Die Ausstellung im Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Konrad-Adenauer-Straße 4, ist bis zum 17. März 2017 zu sehen. Der Eintritt ist frei. Öffentliche Führungen finden mittwochs um 11.30 Uhr statt.