Das SEK aus Göppingen kurz vor dem Zugriff im Stuttgarter Osten. Um ihre Identität zu schützen, sind sie während der Einsätze maskiert. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Sebastian Steegmüller

Stuttgart - Sie klingeln in der Regel nicht an der Tür, klopfen auch nicht freundlich an. Nein, im Gegenteil: Die Polizisten des Spezialeinsatzkommandos (SEK) sind darauf trainiert, den Überraschungsmoment zu nutzen, gehen dorthin, wo es wehtut. Beziehungsweise dorthin, wo es wehtun könnte. Sie rücken immer dann aus, wenn ihre „normalen“ Kollegen aufgrund ihrer Ausrüstung und taktischen Schulung am Ende ihrer Möglichkeiten angelangt sind, beispielsweise bei Geiselnahmen und Entführungen.

In Stuttgart zuletzt am Montag, 11. Juli, als ein bewaffneter Mann in eine Kanzlei am Bubenbad stürmte, zunächst einen Rechtsanwalt und anschließend sich selbst erschoss. Eine „unklare Bedrohungslage“ vermeldeten die ersten Polizisten am Einsatzort und forderten Unterstützung durch die Spezialisten an. Wenig später war die komplette Villa im Stuttgarter Osten umstellt, Beamte in gepanzerten Uniformen übernahmen das Kommando. Für außenstehende Zaungäste ein martialisch wirkender Auftritt: Knapp fünf Stunden bereiten sich die Männer akribisch vor, bringen sich in Position, ehe sie die Villa erstürmen und die zwei Toten im Souterrain auffinden.

Damit die Zugriffe auf fremdem Terrain nicht zu einem Himmelfahrtskommando werden, durchlaufen die Beamten des Spezialeinsatzkommandos eine harte Ausbildung. Doch weder beim Training für den Zugriff, noch bei der Planung und Durchführung lassen sie sich in die Karten schauen. Zum Schutz ihrer Identität sind die Beamten zudem im Einsatz maskiert. „Spezialeinheiten halten sich grundsätzlich bedeckt“, sagt Roland Fleischer, der Sprecher des Polizeipräsidiums Einsatz in Göppingen, dort ist das SEK angesiedelt. Eine Ausnahme gibt es jedoch: Um sich zu verbessern, beteiligt sich das SEK am nationalen unter internationalen Erfahrungsaustausch unter Spezialeinheiten. Auch am besagten Montag im Stuttgarter Osten waren zwei Schweizer Kollegen vor Ort. „Das ist Alltag, ein normaler Vorgang“, sagt Fleischer. „Sie waren stiller Beobachter, ohne jegliche Eingriffskompetenzen.“ Er betont, dass sie nicht zur Unterstützung hinzugezogen wurden, sondern zufällig in dieser Woche in Göppingen zu Besuch waren. „Unsere Einheiten leben vom gegenseitigen Austausch. Gerade bei Taktik- und Technikfragen, aber auch bei der Weiterentwicklung von Ausrüstung.“

Ein solcher Austausch findet seit 1983 auch alle vier Jahre in Bonn statt. Dort richtet die GSG 9, die Spezialeinheit der Bundespolizei, die Combat Team Conference aus. Eine inoffizielle Weltmeisterschaft für Spezialeinheiten. Die GSG 9 nimmt als Gastgeber nicht am Wettkampf teil. Regelmäßig sind aber unter anderem amerikanische Spezialeinheiten, wie SWAT-Teams, und auch die Navy Seals, die als härteste Truppe des US-Militärs gilt, vertreten. Verstecken braucht sich das SEK aus Göppingen vor diesen aus Film und Fernsehen bekannten Größen jedoch nicht. Im Gegenteil. Die baden-württembergischen Einsatzkräfte genießen international einen guten Ruf, weil sie bereits drei Mal den Titel in Bonn einfahren konnten. 1987, 2007 und zuletzt 2011. Vor fünf Jahren siegten sie vor den Red Panthers aus Slowenien. „Das ist eine große Auszeichnung.“

2015 traten insgesamt 43 Mannschaften, davon 17 aus Deutschland und 26 aus dem Ausland gegeneinander an. Unter anderem gingen auch Teams aus Isreal, Russland und China an den Start. Es galt, zehn Übungen in einer vorgegebenen Zeit zu bewältigen, in denen vor allem die geistige und körperliche Belastbarkeit der Teilnehmer auf dem Prüfstand standen. Gefragt waren insbesondere Schnelligkeit, Sorgfalt und Präzision. Daneben spielten der richtige Einsatz personeller und materieller Ressourcen sowie die Einhaltung taktischer Grundlagen eine wichtige Rolle. Trotz möglichst hoher Realitätsnähe können die einzelnen Übungen den Ernstfall immer nur ansatzweise simulieren.

Das baden-württembergische SEK wurde 1976 in Göppingen gegründet und seither zu rund 7600 Fällen in ganz Baden-Württemberg gerufen. Mittlerweile rücken sie pro Jahr zu circa 200 Einsätzen aus. Wer sich dem Team anschließen möchte, muss nicht nur ein komplett ausgebildeter Polizeibeamter sein, der auch schon den Streifendienst durchlaufen hat. „Er muss zudem überdurchschnittliche Leistungen und gute Noten vorweisen“, sagt Fleischer. Mentale Stärke und körperliche Fitness seien wichtig. Dementsprechend könne man nicht bis zur Pensionierung beim SEK bleiben. Wie bei Bundesliga-Schiedsrichtern gebe es eine Altersgrenze. Wo diese liegt, wird jedoch nicht verraten. „Anschließend gehen die Beamten zurück in den normalen Dienst.“