Mitarbeiter einer Vertikalbegrünungsfirma befestigen mithilfe eines Drucklufttackers eine Bahn mit Moos auf einem Trägergerüst. Foto: Steegmüller Quelle: Unbekannt

Roland Böhm

Stuttgart - Sauger, Kleber und jetzt Moos. Einen Mangel an Ideen kann man Stuttgart beim Kampf gegen die miese Großstadtluft gewiss nicht vorwerfen - kreativ ist die Schwabenmetropole. Im Landtag gibt es trotzdem Kopfschütteln.

Im Kampf gegen Luftschadstoffe setzt Stuttgart jetzt auch auf ganz viel Moos: Unweit von Deutschlands schmutzigster Kreuzung am Neckartor wird seit gestern eine 100 Meter lange und gut drei Meter hohe Metallwand mit Moosmatten behängt. Wissenschaftler sehen es als erwiesen an, dass Moos in der Lage ist, extrem mit Feinstaub belastete Luft zu reinigen. Ob die feingliedrige Landpflanze auch ein Mittel gegen Stickstoffdioxid ist, müsse der bundesweit einzigartige Großversuch erst noch zeigen, hieß es. Kopfschütteln gab es derweil im Landtag: Feinstaub schaffe man nicht mit Moos aus der Stadt, sagte der AfD-Abgeordnete Bernd Gögel.

Vor allem das Graue Zackenmützenmoos sei besonders gut geeignet, die Schadstoffe aufzunehmen und sogar abzubauen, sagte Botaniker Martin Nebel, Moos-Experte des Staatlichen Naturkundemuseums in Stuttgart, der vor etlichen Jahren auch die Idee zu der Mooswand hatte. Gezüchtet wurde das Moos laut Nebel auf einem Acker bei Kirchzarten.

Nebel forscht derzeit an einem Testelement, das bereits im November an der vielbefahrenen sechsspurigen Straße in Richtung Feinstaub-Hotspot Neckartor aufgestellt worden war. Erstes Ergebnis: Ohne Bewässerung geht es nicht. Zu trocken und zu heiß sei das Stuttgarter Stadtklima für das Moos, so Nebel. Auch im Winter jetzt sei es lange zu trocken und zu kalt gewesen. „Das Moos wird braun, geht aber nicht kaputt“, erklärte der Experte. Es erhole sich schnell, wenn es genug Wasser habe. Und nur dann wirke es. Und im Sommer soll die Wand mit einem Beschattungsflies vor zu viel Sonne geschützt werden.

Zur Filterwirkung könnten erst Aussagen gemacht werden, wenn genug Daten vorlägen, sagte Nebel. Moosblätter, die er mal von einer Brücke in der Nähe entnommen und untersucht habe, seien übersät gewesen von Feinstaub. 300 Milliarden Partikelchen errechnete er für einen Quadratmeter Moosblatt. Lege man die feinen Blätter der gut 300 Quadratmeter großen Mooswand aneinander, erhalte man eine Grünfläche von der Größe eines Fußballfeldes. Bis Freitag soll sie fertig sein.

Für bundesweites Aufsehen sorgte jüngst auch die Ankündigung von Land und Stadt, wegen der hohen Stickoxidwerte Fahrverbote für viele Dieselfahrzeuge zu erlassen, sollten die Grenzwerte der EU 2017 erneut nicht eingehalten werden. Dagegen wetterte gestern auch die Opposition im Landtag: „Was Sie planen, ist schlichtweg eine kalte Enteignung“, sagte SPD-Verkehrsexperte Martin Rivoir. Mobilität müsse für Menschen mit kleinem Geldbeutel bezahlbar bleiben und dürfe nicht zu einer sozialen Frage werden. Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) verwies auf die Gesundheitsbelastungen durch Feinstaub: „Sie haben mehr den Diesel im Kopf als den Menschen.“

Der Gemeinderat hat 388 000 Euro für die Mooswand bereitgestellt. Das Land gibt gut 170 000 Euro. Das bundesweit einmalige Projekt ist ein weiterer Versuch, die im Stuttgarter Talkessel exorbitant hohen Werte für die Schadstoffe Feinstaub und Stickstoffdioxid zu reduzieren. Nach der Einführung einer Umweltzone und eines Lkw-Durchfahrtsverbots waren schon Tempolimits an Steigungen angeordnet und der öffentliche Nahverkehr ausgebaut worden. Versuche mit einem Feinstaubkleber schlugen fehl, neulich war ein Feinstaubsauger unterwegs.

Das Graue Zackenmützenmoos

(dpa) - Unter den in Deutschland verfügbaren Moosen hat sich nach Angaben von Botanikern das Graue Zackenmützenmoos als die Art erwiesen, die am besten geeignet ist, Schadstoffe wie Feinstaub elektrostatisch festzuhalten. Es könne sogar Ammoniumnitrate, die bis zu 50 Prozent des Feinstaubs ausmachen, in Pflanzenmasse umwandeln. Laut Martin Nebel, dem Moos-Experten des Naturkundemuseums Stuttgart, gibt es weltweit 20 000 Moose, in Deutschland 1200 und in Baden-Württemberg 860. Das Stadtklima sei den Landpflanzen eigentlich deutlich zu trocken und zu warm. Um seine Umweltwirkung entfalten zu können, müssten sie stets feucht gehalten werden.