Mehrere Häftlinge, die im Körper Drogen in die Justizvollzugsanstalt Stammheim geschmuggelt hatten, mussten sich vor Gericht verantworten. Gunter Grossholz brachte die Verhandlung auf Papier, seine Zeichnung wurde abends in der Landesschau des SWR gezeigt. Foto: Grossholz/SWR - Grossholz/SWR

Von Sebastian Steegmüller

Stuttgart - Anfang April 2001 wollte der Stuttgarter Computerexperte Wolfgang K. sein Cabrio verkaufen. Mit seinem Inserat lockte er jedoch nicht nur potenzielle Autokäufer, sondern auch seine Mörder an. Rund ein Jahr später wurde einem Pärchen, das nach einer aufsehenerregenden, europaweiten Fahndung festgenommen werden konnte, der Prozess gemacht. Der 27-jährige Dirk H. wurde für die brutale Tat am Landgericht zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt, seine 18 Jahre alte Freundin musste sich wegen Beihilfe zu einem Raub verantworten.

Gunter Grossholz saß damals beim Prozessauftakt in der ersten Reihe der 9. Schwurgerichtskammer, beobachte jede Bewegung der Angeklagten. Obwohl der Illustrator mittlerweile viele Verhandlungen besucht hat, wird er diesen Fall wohl nie vergessen. Der Grund: Der „Cabrio-Mord“ war sein erster Auftrag als Gerichtszeichner. Auf der Suche nach jemandem, der schnell und gegenständlich zeichnen kann, sei ein Gerichtsreporter auf ihn gestoßen. Offenbar hatte Grossholz ein Händchen, denn in den vergangenen 14 Jahren folgten unzählige Prozesse in ganz Baden-Württemberg. Ganz wohl fühlt er sich - trotz all der Routine - beim Besuch der Gerichtssäle immer noch nicht. Sie seien mit einem Zahnarzttermin vergleichbar. „Ich bin froh, wenn ich nach rund zwei Stunden wieder draußen bin, die Zeichnungen abgegeben habe und richtig durchatmen kann“, so der 45-Jährige.

Gruselige Erinnerungsstücke

Kein Wunder: Der Zeichner wird nur zu skurrilen, spektakulären oder besonders grausamen Fällen gerufen, bei denen das Fotografieren nicht erlaubt oder unpassend ist. Grossholz muss immer den Prozessauftakt besuchen. „Er ist in der Regel mit am intensivsten.“ Vieles könne man verdrängen, die Schlagworte bleiben jedoch. „Erinnerungsstücke, die ich eigentlich nicht aufheben möchte. Es ist gruselig und bedrängend, aus der Sicht der Täter berichtet zu bekommen.“ Beispielsweise von der Mutter aus Köngen, die ihre beiden Kinder getötet hat. Oder von dem Mann aus Filderstadt, der die sechsjährige Alexandra ermordet und anschließend auf einem Friedhof vergraben hat. „Er zeigte keine Emotionen.“

Doch genau diese soll Grossholz mit Filzstiften und Pastellkreiden auf Zeichenbögen einfangen, wenn er im Gerichtssaal mit dem Zeichnen beginnt. „Oft habe ich dafür nur zwei bis drei Sekunden Zeit.“ Der Moment, in dem der Angeklagte den Raum betritt, sei entscheidend. „Dann schaut er sich unsicher um, mustert die Staatsanwaltschaft, die Richter und die Zuschauer, bevor er sich hinter seinem Verteidiger vergräbt.“ Es koste Kraft, den Gerichtssaal in Windeseile zu erfassen. „Dabei nehme ich mir die Freiheit, einzelne Personen nicht genau zu zeichnen.“ Obwohl sein Stil sehr realistisch sei, bemühe er sich, den Angeklagten nicht zu detailliert wiederzugeben. „Um die Persönlichkeitsrechte zu schützen, das ist eine Frage des Taktes.“

Menschlicher Blick

Der konzentrierte Zeichner vor Gericht sollte als Instanz verstanden werden, unterstreicht Grossholz. Er stehe für die persönliche Betrachtung oder Besichtigung des Geschehens, ergänzend zur Auslegung des gesprochenen Wortes durch Journalisten. Die Zeichnung unterstreiche das Zwischenmenschliche ebenso wie das Erhabene der Situation und erlaube den Zuschauern einen persönlichen und sehr menschlichen Blick auf den Prozess. Oft kommen auch Beteiligte des Verfahrens in Pausen zu ihm und fragen, wie er sie gezeichnet habe. „Natürlich wollen sie wissen, wie ich sie gesehen und welchen Eindruck ich von ihnen habe. Das berührt mich“, erzählt Grossholz. Eines aber gilt für ihn, wenn er zeichnet: „Verletzender Sarkasmus hat im Gerichtssaal nichts zu suchen. Ebenso wenig, wie das pathologische Klicken der Kameras.“ Fotografien würden nur einzelne Momente auf Bilder bannen, noch ehe ein Urteil gesprochen wäre. „Als Künstler kann ich meiner Überzeugung Ausdruck verleihen“, sagt Grossholz, der in zahlreichen Ausstellungen von sich Reden gemacht hat.

Schon lange vor dem Cabrio-Mord hat er übrigens sein Auto verschenkt. „Ich habe Beine, um zu gehen, Augen, um zu sehen und Hände, um zu malen. Manches andere überlasse ich meiner bildreichen Fantasie. So brauche ich nicht viel und schone die Umwelt.“