Stuttgart - Die Rechtsverstöße bei dem Geschäft des Klinikums Stuttgart mit libyschen Patienten und einem Beratungsvertrag mit Kuwait waren wohl schwerwiegender als gedacht. Dies geht aus einem Gutachten der Anwaltskanzlei BRP Renaud und Partner hervor. Die Gutachter empfehlen, weitere personelle Konsequenzen zu ziehen.
In dem Bericht, den die Anwaltskanzlei dem Krankenhausausschuss des Gemeinderats in nicht öffentlicher Sitzung vorstellte, geht es um des Vertrag für die Behandlung von gut 300 Kriegsversehrten aus Libyen im Jahr 2013, bei dem das Klinikum Stuttgart auf Forderungen von 9,4 Millionen Euro sitzen geblieben ist (wir berichteten). Der bereits freigestellte Leiter der damals zuständigen International Unit (IU), Andreas Braun, soll in diesem Zusammenhang umfangreiche „Nebenabreden“ mit drei „Vermittlern“ über Provisionen in Höhe von 30 Prozent des Vertragsvolumens von rund 26 Millionen Euro getroffen haben. E-Mail-Kontakte belegten, dass diese Vereinbarungen bewusst nicht in den offiziellen Kooperationsvertrag aufgenommen wurden. Auch für die Vorauszahlung von „Regiekosten“, unter anderem für die Unterbringung und Verpflegung der Patienten im Hotel, soll es keine vertragliche Grundlage gegeben haben. Für was die Gelder verwendet wurden, sei nicht nachgewiesen. In dem Bericht ist von „schwarzen Kassen“ bei der IU und einer Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht die Rede.
IU-Leiter Braun soll für die Nebenabsprachen nicht autorisiert gewesen sein und sie offenbar nicht mit seinen Vorgesetzten abgesprochen haben. Die Gutachter der Anwaltskanzlei sehen aufgrund der umfangreichen Pflichtverletzungen eine fristlose Kündigung Brauns für geboten. Auch bei der für das Controlling und die Finanzen zuständigen Direktorin Antje Groß plädieren die Gutachter wegen gravierender Pflichtverletzungen für eine Trennung. Sie soll, ebenso wie der frühere Ärztliche Direktor Jürgen Graf, früh gewusst haben, dass die entstandenen Kosten für die libyschen Patienten nicht mehr durch Vorauszahlungen gedeckt waren.
Beim Klinikum wollte man sich zu dem Gutachten gestern nicht äußern und verwies auf Krankenhausbürgermeister Michael Föll. Dieser sagte auf Nachfrage, die Stadt habe die Absicht, die Empfehlungen des Gutachtens zu Regressansprüchen und arbeitsrechtlichen Konsequenzen voll umzusetzen. Zuvor werde man zeitnah die Stellungnahmen der Betroffenen auswerten. Von den Ergebnissen des Gutachtens sei er „zum Teil durchaus überrascht“ gewesen, so Föll, zum Teil seien sie bereits aus früheren Berichten bekannt gewesen.
Bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart laufen derzeit zwei Verfahren zu den Libyen-Geschäften der zum Jahresbeginn aufgelösten IU, in einem Fall wegen Betrugs. Durch den Bericht der Kanzlei BRP habe man nun neue Erkenntnisse erlangt, so Pressestaatsanwalt Jan Holzner. Es werde aufgrund dessen geprüft, ob die Ermittlungen um Tatvorwürfe und Personen erweitert werden.
SPD-Fraktionschef Martin Körner sagte, mit Blick auf IU-Leiter Braun müsse es „in jedem Fall personelle Konsequenzen geben“. Zudem stelle sich die Frage nach der politischen Verantwortung der früheren Krankenhausbürgermeister Klaus-Peter Murawski und Werner Wölfle. „Es tun sich Abgründe auf. Die gehen über das hinaus, was ich mir auch nach den bisherigen Veröffentlichungen hätte vorstellen können“, sagte Körner.