Eyal Peso, Geschäftsführer der Firma Gauzy, stellt in Fellbach im Rahmen des Projekts „Startup Autobahn“ eine Glasscheibe vor, die auf Knopfdruck undurchsichtig wird und auf die dann ein Video projiziert werden kann. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Michael Paproth

Fellbach - „No limits“, keine Grenzen, sagt Daimler-Chef Dieter Zetsche. Das hören die jungen Firmengründer gern, die auf Einladung des Stuttgarter Autokonzerns aus aller Welt gestern nach Fellbach ins Goldbergwerk gekommen sind. Minuten später twittert schon einer: „Wenn Zetsche keine Grenzen sagt, heißt das keine Grenzen.“ Genau dieses Motto kann das ambitionierte Projekt „Startup Autobahn“, das der Automobilhersteller zusammen mit der Universität Stuttgart, dem kalifornischen Start-up-Investor Plug and Play Tech Center und der Denkfabrik Arena 2016 ins Leben gerufen hat, gut brauchen - schließlich geht es um die Zukunft der Mobilität. 300 Start-ups hatten sich beworben, 22 davon bekamen nun die Gelegenheit, ihre Geschäftsideen in Fellbach vorzustellen. Sie heißen TruckPad, Best Mile, Roadgazer, CarJump, Healthy Road, Noveto, cyface oder 4tiitoo. Zehn werden am Ende ausgewählt, um ihre Ideen weiterzuentwickeln und die Investoren vorzustellen. Dabei geht es Daimler aber nicht nur um Ideen, es geht auch um die Begegnung mit jungen, kreativen und unternehmerisch denkenden Menschen. So kann der Konzern die eigene Innovationskultur forcieren.

Stylish und lässig

Der Ort ist gut gewählt: Das Goldbergwerk auf dem ehemaligen Mahle Industrieareal in Fellbach ist als Veranstaltungsort stylish und lässig zugleich. So wie viele der jungen Firmengründer, die vor Beginn des „Selection Days“ Visitenkarten austauschen. Ihr Dresscode ist eindeutig: Jeans, Sneakers und Turnschuhe, ja sogar Badeschlappen, auch das Hemd darf schon mal raushängen. Bei Dieter Zetsche allerdings nicht. Dafür sieht man den Konzernchef nicht mehr mit Krawatte, dafür umso öfter in Jeans. Das Sakko zieht er dann während seiner Rede aus. „Wir sprechen über die Zukunft der Mobilität,“ sagt der Spitzenmanager, nachdem im alten Backsteingebäude der ehemaligen Mahle-Gießerei der Ohrwurm „Autobahn“ der Düsseldorfer Band Kraftwerk von 1974 zu hören war.

„Welcome everybody to Startup Autobahn“, ruft der Moderator, als er Dieter Zetsche auf die Bühne bittet. Sie geben sich nicht die Hand, sondern klatschen sich ab: „High five“. Zetsche will, dass Daimler mithilfe von Start-ups neue Ansätze für den sich rasant entwickelnden Mobilitätsmarkt findet. Dabei geht es ihm um eine intelligente Kombination von Software und Hardware. Vor allem hardwareorientierte Projekte sollen im Vordergrund stehen: „Software allein wird einen nicht von A nach B bringen“, sagt der Vorstandschef des Autokonzerns.

Dennoch hat es Patrick Sebastian Hilbos, Chef von neuromore, in die engere Auswahl geschafft. Er hat eine Software entwickelt, die den Mentalzustand eines Menschen in Echtzeit erkennt - und verbessert. Dazu bedarf es als Hardware Biosensoren, die zugekauft werden. Was das mit Autos und Mobilität zu tun hat? Eigentlich ganz einfach: Während der Fahrt wird der Zustand des Fahrers analysiert. Empfindet er beispielsweise Stress, wird beruhigende Musik eingeschaltet. Ist der Fahrer müde, kann die Temperatur runter gefahren werden.

„Hart arbeiten, Risiken eingehen, nie aufgeben“, empfiehlt Zetsche den jungen Unternehmern. Und dann sagt er eben das, was vermutlich viele hören wollten: „No limits“, keine Grenzen. Daimler-Entwicklungsvorstand Thomas Weber ist auch vor Ort und lässt wissen: Das Unternehmen suche mit dem Projekt „Startup Autobahn“ Ideen, die der Konzern direkt einsetzen könne, um seine Autos besser zu machen. Dass Forschung unabdingbar ist, macht Wolfram Ressel, der Direktor der Universität Stuttgart, deutlich: „Forschung ist die Basis für neue Unternehmen.“ Nebenbei: Auch andere Autokonzerne suchen die Nähe zu Start-ups. BMW hat vor etwas mehr als einem Jahr das Projekt „Startup Garage“ ins Leben gerufen. Gründer erarbeiten zusammen mit BMW-Technikern Prototypen für den Konzern. Und Porsche hat eine Digital GmbH ins Leben gerufen, die sich auch an Start-ups beteiligen will.

„Seid ihr bei mir?“

Dann ist noch Saeed Amidi, der Vorstandsvorsitzende des Start-up-Investors Plug and Play Tech Center, aus dem Silicon Valley nach Fellbach gekommen. Von den Studenten der privaten Stanford University (Spitzname „Die Farm“) 60 Kilometer südöstlich von San Francisco in der Nähe von Palo Alto, würden 50 Prozent ein Unternehmen gründen wollen, sagt Amidi, der als einer der führenden Geldgeber für Start-ups im Silicon Valley gilt. Er weiß, dass es beispielsweise in dem kleinen südostasiatischen Stadtstaat Singapur 4000 Start-ups gibt - und er weiß, dass die Region Stuttgart flächenmäßig die gleiche Größe hat. Seine Vision: In fünf Jahren soll es hier ebenso viele Start-ups geben wie in Singapur: „Seid ihr bei mir?“, ruft er den jungen Gründern zu. Ja, jubelt das Publikum. Amidi sagt: „Es gibt eine Menge Geld bei Konzernen und Unternehmerfamilien in Deutschland, aber kein Wagniskapital.“ Das müsse man hierzulande lernen.

startup autobahn

Als baden-württembergische Antwort auf das kalifornische Silicon Valley hat Daimler das Projekt „Start- up Autobahn“ ins Leben gerufen. „Im Gegensatz zu Silicon Valley mit Software-Fokus sollen bei Startup Autobahn nicht nur software- sondern vor allem auch hardwareorientierte Projekte im Vordergrund stehen“, sagt Thomas Weber, verantwortlich für die Konzernforschung & Mercedes-Benz Cars Entwicklung. Mit von der Partie sind:

Der Start-up-Investor Plug and Play Tech Center aus Kalifornien hat Standorte im Silicon Valley, Deutschland, Spanien, Singapur, China und Brasilien. Mit mehr als 2000 betreuten Start-ups ist Plug and Play seit seiner Gründung vor zehn Jahren zum weltweit größten globalen Accelerator (Beschleuniger) mit Technikfokus und Risikokapital gewachsen. „Stuttgart ist eine der weltweit führenden Automobil- und High-Tech-Regionen und bietet daher die idealen Voraussetzungen für Start-ups“, sagt Saeed Amidi, der Vorstandschef von Plug and Play Tech Center. Plug and Play organisiert jährlich mehr als 365 Veranstaltungen weltweit, um Start-ups und Investoren zu vernetzen, und ist selbst als Investor tätig.

Das Hardware Lab in der Arena 2036 ist eine großflächige High-Tech-Werkstatt, welche Werkzeuge, Maschinen, 3D-Drucker und Software für den Prototypenbau und die Kleinserienfertigung beinhaltet. Zudem sollen unterstützende Dienstleistungen wie Rechts- und Steuerberatung, professionelle Hilfe bei Finanzplanung und Projektmanagement den Entwicklungsprozess beschleunigen. Sie ist direkt an den Forschungscampus der Universität Stuttgart angedockt. Der Name „Arena 2036” steht für „Active Research Environment for the Next Generation of Automobiles“.