Quelle: Unbekannt

Von Elke Hauptmann

Stuttgart - „Ich habe nicht oft so schöne Tage“: Freudestrahlend läuft Rüdiger Grube die Baustraße hinunter auf Baufeld 16 im Schlossgarten - dort, wo bereits erste Teile der Bodenplatte für den künftigen Stuttgarter Tiefbahnhof gegossen wurden. Sieben Jahre habe er diesem „Meilenstein“ entgegengefiebert, entsprechend euphorisch fallen die Worte des Bahnchefs bei der symbolischen Grundsteinlegung für das Herzstück von Stuttgart 21 aus: „Wir stehen hier auf dem Fundament des neuen Bahnhofs und damit auf dem Boden der Tatsachen. Das ist ein deutliches Zeichen, dass das Projekt unumkehrbar ist.“

Die etwa 150 Stuttgart-21-Gegner, die sich hinter den weitab gelegenen Bauzäunen postiert haben, können das zwar nicht hören - dennoch rufen sie trotzig immer wieder: „Oben bleiben“ und „Lügenpack“. Der Wind trägt gelegentlich Fetzen von Mozarts Requiem in d-Moll zum Festzelt. Die Totenmesse lassen die Aktivisten in voller Stärke über den Lautsprecher dröhnen - für sie ist die Grundsteinlegung eine „Grabsteinlegung“.

Grube ficht all das nicht an. Der Zeitplan, der eine Inbetriebnahme Ende 2021 vorsieht, sei wegen Schlichtung, Stresstest und Volksabstimmung zwei Jahre im Verzug, räumt er zwar ein. Das Datum sei deshalb „außerordentlich ambitioniert“. Aber das sei zu schaffen, ruft er den zahlreichen geladenen Gästen aus Politik und Wirtschaft zu. Er sei zudem überzeugt, den Kostenrahmen von 6,5 Milliarden Euro halten zu können - „selbst wenn alle Risiken eintreten“. Das sei allerdings nur mit größter Anstrengung zu schaffen. Am 13. Oktober werde es eine Sondersitzung des Aufsichtsrates geben, bei dem es um die neuen Gutachten zu Kosten und eigenen Haftungsrisiken bei Stuttgart 21 gehe. „Da kommt alles auf den Tisch“, verspricht er Transparenz.

Entwicklungschancen

Wenn Stuttgart 21 fertig sei, werde es viele Bahnfahrer begeistern, so Grube. „Millionen Fahrgäste werden von kürzeren Reisezeiten, neuen Direktverbindungen und erweiterten Angeboten profitieren - und die ganze Stadt von 100 Hektar Stadtentwicklungsfläche mitten im Zentrum.“ Im Brustton der Überzeugung spricht er von einem „großen Geschenk“ an die Stadt. Durch die Tieferlegung des Bahnhofs samt Gleisen erhalte Stuttgart in seinem Zentrum eine Fläche von rund 150 Fußballfeldern zurück.

Die Entwicklungschance werde man „in konstruktiver Zusammenarbeit mit den Projektpartnern und im Dialog mit den Bürgern nutzen“, greift Erster Bürgermeister Michael Föll den Ball auf. Und gleich darauf spielt ihn der Architekt der Durchgangsstation, Christoph Ingenhoven, weiter: Die Stadt müsse sich nun auch ernsthafte Gedanken machen, was im direkten Umfeld des neuen Bahnhofs passieren solle. Seiner Ansicht nach müssten baldmöglichst Planungen her für die Schillerstraße, den Arnulf-Klett-Platz, die Klettpassage und den Bereich um die ehemalige Bahndirektion. Weiterentwickelt werden müsse vor allem die Wolframstraße.

Damit nachfolgende Generationen nicht vergessen, was am Tag der Grundsteinlegung los war, wurde bei der Zeremonie eine Zeitkapsel mit einem Zugmodell des neusten ICE-Typs und den Stuttgarter Tageszeitungen im Beton versenkt. Die Stadt steuerte das Amtsblatt und eine Silbermünze bei. Ebenfalls für die Nachwelt erhalten bleibt ein Flyer der projektkritischen Initiative „Ingenieure 22“. Die darin zusammengeschlossenen Ingenieure, Eisenbahner, Techniker und Naturwissenschaftler wollen den Kopfbahnhof erhalten.

„Das Projekt steht noch immer auf schwankendem Boden“, sagt Eisenhart von Loeper vom Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 am Rande der Grundsteinlegung. Selbst wenn jetzt die riesige Bodenplatte für Bahnsteige und Gleise gegossen werde, sei ein Umstieg in eine aus Kritikersicht verkehrlich, umweltpolitisch und finanziell günstigere Alternative noch möglich. Die S-21-Gegner stellen der unterirdischen Durchgangsstation mit ihren acht Gleisen das Konzept eines modernisierten Kopfbahnhofes mit 16 Gleisen gegenüber. Die Kosten für ihre Vision „K21“ beziffern sie auf 3,5 Milliarden Euro.

Baufortschritt

Bahnchef Grube hingegen verweist gern auf den Baufortschritt bei diesem „Jahrhundertbauwerk“. Man komme außerordentlich gut voran. Für die Neuordnung des Bahnknotens Stuttgart sind nach Konzernangaben nahezu ein Drittel von insgesamt 59 Kilometer Tunnelröhren vorangetrieben. Um die Jahreswende werden sowohl am Nord- als auch am Südkopf des künftigen Durchgangsbahnhofs Tunneldurchschläge erwartet. Für die neue S-Bahn-Station Mittnachtstraße ist der Betontrog bereits gegossen. Für den Abstellbahnhof Untertürkheim soll der Planfeststellungsbeschluss möglichst noch in diesem Jahr eingereicht werden. Zuvor muss jedoch ein Ersatzhabitat für etwa 6000 dort lebende, artengeschützte Mauereidechsen gefunden werden.

Daten und Fakten

Der Durchgangsbahnhof, der sich auf rund 900 Metern erstrecken wird, ist im Vergleich zum jetzigen Kopfbahnhof um rund 90 Grad gedreht. Die zukünftigen Gleisanlagen liegen rund zehn Meter unter dem heutigen Schienenniveau.

Der Bahnhofsbau ist in insgesamt 25 Bauabschnitte unterteilt. Insgesamt werden rund zwei Millionen Tonnen Erde ausgehoben, etwa ein Drittel davon ist bereits abgefahren. Der Tiefbahnhof gründet auf rund 2300 Pfählen. Alles in allem werden rund 62 700 Tonnen Stahl und rund 240 000 Kubikmeter Beton verbaut.

Die Bahnsteighalle hat eine Länge von 447 Metern. Sie wird etwa 80 Meter breit und bis zu zwölf Meter hoch sein. In ihr haben acht Gleise und vier Bahnsteige Platz sowie 15 Panoramaaufzüge, 35 Rolltreppen und 20 Treppenanlagen. Architektonisches Highlight sind die 28 Kelchstützen aus weißem Sichtbeton und die 27 Lichtaugen. Das Dach der Bahnsteighalle wird begehbar sein.

Im künftigen Durchgangsbahnhof werden täglich bis zu 320 000 Reisende erwartet.

Der historische Bonatzbau mit seinem Empfangsgebäude, dem Turm, den Schalterhallen und dem Arkadengang bleibt als Entree erhalten und wird voraussichtlich ab 2018 umfangreich modernisiert.