Brennpunkt Notaufnahme: Nicht immer verhalten sich Patienten friedlich, verbale und tätliche Ausraster nehmen zu. Foto: dpa - Symbolbild: dpa

Von Jan-Philipp Schütze

Stuttgart - Beleidigungen, Bedrohungen und körperliche Angriffe - in den Notaufnahmen der Stuttgarter Krankenhäuser kommt es immer häufiger zu Übergriffen von aggressiven und gewaltbreiten Patienten auf Ärzte und Pflegepersonal. Die Klinik-Verantwortlichen sind alarmiert: In vielen Notaufnahmen werden die Mitarbeiter bereits von Sicherheitskräften beschützt.

In der Interdisziplinären Notaufnahme (INA) des Klinikums Stuttgart im Katharinenhospital werden pro Jahr etwa 31 000 Patienten behandelt. So gut wie alle von ihnen verhalten sich dabei friedlich, doch es gibt auch gravierende Ausnahmen. Immer wieder werden Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger zur Zielscheibe von gewaltbereiten Patienten. Die Zahl der Übergriffe im Klinikum Stuttgart ist zuletzt kontinuierlich angestiegen - von 19 Vorfällen im Jahr 2013 auf 31 im vergangenen Jahr. Und dabei handelt es sich lediglich um die gemeldeten Übergriffe. „Es gibt eine große Dunkelziffer“, sagt Klinikum-Sprecherin Ulrike Fischer. „Es vergeht kein Tag, an dem nicht irgendein Mitarbeiter in den Brennpunkten betroffen ist.“ Zu den Brennpunkten gehören neben der Notaufnahme auch die Psychiatrie und die Intensivstationen.

Ähnlich problematisch ist die Situation im Robert-Bosch-Krankenhaus, in dessen Notaufnahme im Jahr 2015 knapp 38 600 Patienten behandelt wurden. „Die Übergriffe haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen“, sagt Mark Dominik Alscher, Geschäftsführender Ärztlicher Direktor des Krankenhauses. Etwa zweimal pro Woche komme es vor, dass Klinikmitarbeiter von Patienten verbal beleidigt werden, mehrmals im Monat komme es zu Bedrohungen. Tätliche Angriffe seien zwar eher selten, aber: „Es gab durchaus auch Fälle, bei denen wir die Polizei ins Haus holen mussten“, sagt Alscher.

„Es kommt immer wieder zu Beleidigungen, Mitarbeiter werden bespuckt oder bedroht“, berichtet Frank Weberheinz, Sprecher des Diakonie-Klinikums, wo in den verschiedenen Notfallambulanzen insgesamt rund 12 000 Patienten im Jahr behandelt werden. Eine Statistik führe man zwar nicht, so Weberheinz, die Mitarbeiter hätten jedoch das Gefühl, dass es sich um ein eher wachsendes Problem handelt, das nicht alleine die Notaufnahme, sondern alle Bereiche des Diakonie-Klinikums betreffe.

Die Verantwortlichen der Kliniken sind bemüht, den Übergriffen einen Riegel vorzuschieben. Im Marienhospital, wo neben der Notaufnahme auch die Notfallpraxis der niedergelassenen Ärzte angesiedelt ist, ist seit zwei Jahren Sicherheitspersonal mit der nächtlichen Überwachung der Wartebereiche beauftragt. „Die Einführung des Sicherheitsdienstes hat zu einer Verbesserung beigetragen“, sagt Otto Tschritter, Leitender Oberarzt der Interdisziplinären Notaufnahme. „Die Mitarbeiter geben an, dass sie die Arbeit in der Notaufnahme als deutlich sicherer wahrnehmen.“

Auch in der INA des Klinikums Stuttgart ist nachts regelmäßig ein Sicherheitsmann anwesend. „Allein die Anwesenheit eines großen und kräftigenMannes verhindert schon mal sehr zuverlässig die Gewaltbereitschaft bei Patienten und gibt dem oft weiblichen Personal Sicherheit und Ruhe“, sagt Fischer. Wichtig seien zudem technische Ausstattungen wie Panzerglas und Notknöpfe mit Direktverbindungen zur Polizei. In der Notaufnahme des Robert-Bosch-Krankenhauses haben ebenfalls Wachleute Dienst. Darüber hinaus setzen die Krankenhäuser auf spezielle Deeskalationstrainings für ihre Mitarbeiter. Dabei sollen sie lernen, Gewaltbereitschaft früh zu erkennen und zu beheben. Am Diakonie-Klinikum würden die Auszubildenden in der Gesundheits- und Krankenpflege schon während ihrer Ausbildung sehr intensiv mit dem Thema „Umgang mit aggressiven Patienten“ vertraut gemacht, sagt Weberheinz.

Die Gründe für die Gewalt in den Notaufnahmen sind vielfältig. „Die Ursache sind häufig Alkohol oder Drogen“, sagt Weberheinz. „Auch die angespannte Situation in den Notaufnahmen mit langen Wartezeiten kann Aggressionen bei den Patienten auslösen.“ RBK-Direktor Alscher sieht vor allem ein gesellschaftliches Phänomen: „Die Notaufnahmen sind ein Spiegel der Gesellschaft. Manche Menschen haben eine sehr geringe Hemmschwelle, übergriffig zu werden.“ Der Respekt gegenüber Ärzten und Pflegepersonal nehme immer mehr ab. Vielen Patienten mangele es zudem an der nötigen Geduld. „Jeder will immer alles sofort haben. Wenn dann zum Beispiel eine OP verschoben werden muss, kann das Streit auslösen.“

Ist es zu einem Übergriff gekommen, setzt das Klinikum Stuttgart auf eine Nachbetreuung der Betroffenen durch ein Kriseninterventionsteam oder einen entsprechend geschulten Psychologen, um psychische Langzeitbeeinträchtigungen zu verhindern. „Das Wichtigste ist aber die Arbeit im Team und die gegenseitige Unterstützung und sofortige Hilfe im Notfall“, sagt Klinikum-Sprecherin Fischer.