17.3.2016 Auf einem Parkplatz bei Lorch wurde eine tote Python entdeckt.

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Von Sebastian Steegmüller

Stuttgart - Ausgesetzte Hunde und Katzen verursachen im Tierheim Stuttgart seit Jahren immense Kosten. Ein starker Anstieg zu Beginn der Sommerferien ist jedoch nicht mehr zu verzeichnen, die Zahl der abgegebenen Haustiere ist konstant hoch. In letzter Zeit muss sich die Einrichtung in Botnang jedoch vermehrt um Exoten wie Bartagamen, Schlangen oder Schildkröten kümmern. Der Reptilien-Bereich platzt deshalb aus allen Nähten.

Es ist offenbar ein Trend, sich exotische Tiere anzuschaffen, die Probleme jedoch: Die artgerechte Haltung ist teuer und extrem aufwendig, zudem können sie sehr alt werden. Eine Rotwangen-Schildkröte beispielsweise locker 50 Jahre. „Sie wird gekauft und irgendwann entsorgt“, sagt Tierheimleiterin Marion Wünn. Weil die Besitzer überfordert sind oder eben das Interesse an dem Exoten nachgelassen hat.

Sonderlich liebevoll wird dabei oftmals nicht vorgegangen. Eine Schildkröte ist zuletzt einfach mitten in der Stadt auf S-Bahn-Gleisen ausgesetzt worden. Passanten entdeckten das Tier, wie es sich über das Schotterbett schleppte. Aber auch vermeintliche Tierfreunde, die ihre Schildkröte in den Bären- oder Feuersee umsiedeln, tun ihr nicht wirklich etwas Gutes. „Die Gewässer sind nicht artgerecht“, sagt Wünn. „Es ist eine Faunen-Verfälschung. Die Schildkröten sterben qualvoll binnen zwei Jahren an einer Lebervergiftung.“

Deutlich schneller könne es bei anderen Exoten gehen, die nicht an die Temperaturen in Deutschland gewöhnt sind. Sie verenden innerhalb weniger Tage. Außer sie werden rechtzeitig entdeckt und ins Stuttgarter Tierheim gebracht. Dann folgen die normalen Untersuchungen, wie die Analyse des Kotes, für rund 40 Euro. Verletzungen schlagen schnell mit Kosten von mehr als 100 Euro zur Buche. „Pauschal kann man für die ersten vier Wochen Pflege mit bis zu 200 Euro rechnen.“ Die laufenden Kosten, also nur für die Versorgung der Reptilien, exakt abzuspalten, sei schwierig. Grob würde Wünn pro Tier und Tag circa drei bis zehn Euro veranschlagen. „Das kommt auf die Tierart an, den medizinischen Aufwand und die aufwendige Unterbringung.“

Die Kosten sind jedoch nicht das einzige Problem für das Tierheim, sondern auch die Menge an unterschiedlichen Exoten. Täglich werden nicht nur Schildkröten nach Botnang gebracht, sondern auch Bartagamen und Schlangen. „Selbst Skorpione haben wir schon aufgenommen, nur ein Krokodil hatten wir bislang noch nicht.“ Um die Tiere artgerecht zu halten, brauche man viel Platz und die entsprechende Ausrüstung. Beheizte Terrarien und Aquarien. „Schließlich sollen die Tiere, die viel durchgemacht haben, nicht vom Regen in die Traufe kommen.“ Sie ohne große Prüfung der Halter, wie auf großen Tiermessen, wieder „herauszuschleudern“, sei ebenfalls nicht mit dem Tierschutz vereinbar. „Es ist sehr wichtig, die Menschen richtig zu informieren, bevor sie ein Tier zu sich holen.“ Dann gäbe es keine bösen Überraschungen. „Das ist ein erfolgreicher Weg, den wir selbst seit Jahren gehen. Bei uns kommen beispielsweise vermittelte Hunde kaum zu uns zurück“, sagt die Tierheim-Chefin Wünn. Etwas Luft beim Umgang mit Exoten verschafft ihr zudem die gute Kooperation mit der Auffangstation für Reptilien in München. „Für einen kleinen Obolus, also eine Aufnahmegebühr, nehmen sie uns immer wieder auch große Tiere wie Pythons ab.“

Die Station, die 2001 gegründet worden ist, nimmt pro Jahr mehr als 1200 ausgesetzte Reptilien und Amphibien aus ganz Deutschland an. 75 Prozent davon seien harmlos und können weitervermittelt werden, so Patrick Boncourt, der Sprecher der bayerischen Einrichtung. „Das heißt aber auch, dass jährlich bis zu 400 Tiere bei uns sitzen bleiben beziehungsweise aus verschiedenen Gründen in unseren Dauerbestand übergehen. Beispielsweise weil sie eine unheilbare Krankheit oder körperliche Einschränkungen haben und somit für die Vermittlung nicht mehr attraktiv sind. Oder, weil sie zu den potenziell gefährlichen Arten gehören und daher nicht an Privatpersonen vermittelt werden dürfen.“ Hier kommen dem Experten unter anderem Giftschlangen in den Sinn.

Sie sind für das Tierheim Stuttgart „glücklicherweise kein Problem“, so Wünn, die sich spontan an eine ausgesetzte Klapperschlange erinnert. In solchen Fällen müsse aber in der Furtwänglerstraße kein Terrarium freigeräumt werden. Stattdessen werden die Experten der Wilhelma zurate gezogen, die solche Tiere in den zoologisch-botanischen Garten mitnehmen. „Für Giftschlangen haben wir einfach nicht das Fachpersonal“, sagt Wünn, die betont, dass die Tierheime häufig schon mit der Aufnahme der „normalen“ Reptilien überfordert seien. Daher wünsche sie sich auch in Baden-Württemberg eine Auffangstation für Reptilien. Große Hoffnung hat sie jedoch nicht. Schon die baden-württembergische Vorgängerregierung habe solch eine Station abgelehnt, sagt Boncourt. „Und sich stattdessen entschlossen, die Einrichtung in München zur Schaffung neuer Kapazitäten einmalig mit 100 000 Euro zu fördern. Diese Kapazitäten konnten inzwischen vereinbarungsgemäß geschaffen werden, so dass wir seither regelmäßig beschlagnahmte Tiere aus Baden-Württemberg bei uns aufnehmen.“ Aus Sicht der bayerischen Tierschützer funktioniere die Zusammenarbeit sehr gut, „auch wenn die einmalige Förderung mittelfristig kaum die für uns entstehenden Kosten wird decken können“. Inwieweit von Seiten des Landes Baden-Württemberg der Wunsch besteht, die Zusammenarbeit aufrecht zu erhalten und uns dann gegebenenfalls mit weiteren Fördermitteln zu unterstützen, könne er derzeit nicht sagen.

Eigene Auffangstation teuer

„Diesbezüglich haben wir von der neuen Landesregierung noch keine Informationen erhalten“, sagt Boncourt, der darauf aufmerksam macht, dass der Aufbau einer komplett neuen, eigenständigen Reptilienauffangstation in Baden-Württemberg das Land jedoch definitiv deutlich teurer kommen würde. „Sowohl die Infrastruktur zur Haltung von teils sehr langlebigen Exoten, als auch die Festanstellung von Experten, die den Umgang mit potenziell gefährlichen Tierarten beherrschen können sollten, würde in Aufbau und Betrieb schnell mehrere Millionen Euro kosten. Konkrete Zahlen hierfür lassen sich aus unserer eigenen Einrichtung problemlos ableiten und analog auf ein derartiges Projekt übertragen.“