Von Edgar Rehberger

Spannung und Vorfreude steigen. Am 1. September geht es los. Die beiden Erzieherinnen Gloria Schmid und Ana Maria Brinkmann treten dann ihr Praktikum in einer Kita in Istanbul an. Ermöglicht wird dies durch ein Stipendium der Bernstein Köllner Stiftung in Kooperation mit der Evangelischen Fachschule für Sozialpädagogik.

Dort haben die beiden Stipendiatinnen vergangene Woche ihre letzten Prüfungen erfolgreich abgeschlossen. Am Freitag erhalten sie ihre Zeugnisse. Dann liegen drei Jahre Ausbildung hinter den Erzieherinnen. „Wir freuen uns darauf, jetzt das Gelernte anwenden zu können.“ Bevor sie jedoch in ihren künftigen Arbeitsstätten in Ludwigsburg beziehungsweise Stuttgart-Nord antreten, sammeln sie sechs Wochen Erfahrungen im Ausland.

Die Bernstein Köllner Stiftung hält es für ungemein wichtig, „kultursensible Kitas“ zu schaffen. Erzieherinnen und Erzieher seien immer mehr gefordert, sich auf die multikulturelle Lebenswelt der Kinder einzustellen und interkulturell zu arbeiten. Auch in der Landeshauptstadt ist der Anteil von Kindern mit türkischem oder muslimischem Hintergrund sehr hoch. „Der interkulturelle Aspekt erfährt eine ganz andere Dimension“, betont Roswitha Wenzl. Die ehemalige Kinderbeauftrage der Stadt Stuttgart betreut in der Stiftung das Projekt und hat in der Evangelischen Fachschule für Sozialpädagogik in Botnang einen Partner gefunden, der am gleichen Strang zieht. Seit Jahren ist dort interkulturelles Lernen Ausbildungsschwerpunkt.

Stiftung und Fachschule haben daher in Istanbul nach Kitas, die sich auf das Projekt einlassen, und auch nach einer Unterkunft für die beiden Erzieherinnen gesucht. Denn die beiden werden Flug und Unterkunft bezahlt, sie erhalten ein Taschengeld und Ansprechpartner vorort. „Wir sind fündig geworden“, sagt Sabine Walz, die stellvertretende Schulleiterin. Die Einrichtungen seien sehr offen und aufgeschlossen gewesen, die Gespräche konstruktiv. Es wurde eine Einrichtung ausgewählt, die ganztägige Betreuung anbietet, dessen offenes Konzept am ehesten westeuropäischer Pädagogik entspricht und deren Leiterin auch deutsch spricht. Zudem absolvieren die beiden Erzieherinnen auch ein Schnupperpraktikum in einer staatlichen traditionellen Ganztageskita.

„Ich wollte Auslandserfahrungen sammeln, denn in unseren Kitas betreuen wir viele Kinder mit Migrationshintergrund“, beschreibt Ana Maria Brinkmann ihre Begweggründe, warum sie sich für das Praktikum beworben hat. „Es ist gut, andere Kulturen kennenzulernen.“ Ihre Kollegin ist neugierig darauf, in Kontakt mit anderen Religionen zu kommen. „Ich will erleben, wie die Kinder damit umgehen.“ Zudem ist es beiden frisch gebackenen Erzieherinnen wichtig zu erfahren, wie es ist, fremd zu sein. Diese Erfahrungen sollen sie dazu befähigen, Kinder mit Migrationshintergrund besser zu verstehen. „Wer selbst diese Erfahrungen gemacht, geht anders damit um“, ist Roswitha Wenzl überzeugt.

Zur Vorbereitung haben Gloria Schmid und Ana Maria Brinkmann einen Sprach-Crashkurs absolviert, um nicht ganz sprachlos zu sein. „Den Begriff Erzieher gibt es im Türkischen nicht“, berichtet die 19-jährige Schmid. In den Kitas sind „Kindergarten-Lehrer“. Sie hoffen, sich einigermaßen verständlich machen zu können und auch etwas zu verstehen. Dass vor Ort anders gesprochen wird als im Lehrbuch, wissen sie. „Ich habe mit einer Türkin versucht, ein paar Sätze zu sprechen. Sie hat mich verbessert, sich aber sehr gefreut, dass ich es ausprobiert habe.“

Aktuelle Situation im Blick

Über ihren Aufenthalt müssen sie einen Bericht schreiben und ihre Erlebnisse und Erfahrungen in der Fachschule vortragen. Als Belohnung gibt es ein Zertifikat von Fachschule und Stiftung. „Dies ist auch ein attraktives Angebot für unsere Ausbildung und ein Baustein für die Qualitätssteigerung“, führt die Konrektorin aus. Die aktuelle Situation in Istanbul werde dabei nicht aus den Augen gelassen. Ein Rückzieher kam für die Erzieherinnen nicht in Frage. „Gerade jetzt muss man Flagge zeigen“, so Gloria Schmid. „Alles andere wäre kontraproduktiv.“ Wenn man wegbliebe, würde es nicht besser. Natürlich habe ihr Umfeld nach den Anschlägen erschrocken reagiert, ergänzt die 24 Jahre alte Ana Maria Brinkmann. Aber passieren könne überall etwas.

Sollte jedoch die Situation schlimmer oder gar eine Reisewarnung ausgesprochen werden, werde das Projekt sofort gestoppt. Es sei nicht zwingend auf die Türkei zugeschnitten. „Dann suchen wir ein anderes muslimisches Land“, so Wenzl. Die Vorbereitungen für das Projekt im kommenden Jahr haben bereits begonnen. „Da werden die Erfahrungen der beiden Pionierinnen noch eingebaut.“