Roman Herzog mit seiner ersten Frau Christiane im Jahr 1998. Sie starb zwei Jahre später. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Auch seine Nachfolger im Amt nahmen den Appell zur Übernahme von mehr Verantwortung auf. Humorvoll und in unverstellter Sprache einen wichtigen Beitrag zu Veränderungen geleistet.

Von Andreas Herholz, Berliner Redaktion

Berlin/Stuttgart - Der mit dem Ruck - daran erinnern sich wohl die meisten Bürgerinnen und Bürger, wenn sie an Roman Herzog zurückdenken. Es war vor allem diese eine große Rede 1997, die das Bild des früheren Staatsoberhauptes geprägt hat. Ein Manifest gegen Stillstand und Reformstau in einer erstarrten Republik - ein Appell zum Aufbruch, der seiner Zeit voraus war und Herzog über seine fünfjährige Amtszeit hinaus als unbequemen Mahner erscheinen ließ. Gestern ist der frühere Bundespräsident im Alter von 82 Jahren gestorben.

Eigentlich war er nur eine Notlösung für das Amt des Staatsoberhauptes. Doch als sich im Herbst 1993 Helmut Kohls ursprünglicher ostdeutscher Wunschkandidat Steffen Heitmann bereits vor der Wahl um Kopf und Kragen geredet hatte, schickte die Union Roman Herzog ins Rennen, den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, der stets von sich behauptete, lieber Jurist als Politiker zu sein.

Ein holpriger Start ins Schloss Bellevue, noch dazu, weil es drei Wahlgänge und den Rückzug der liberalen Gegenkandidatin Hildegard Hamm-Brücher brauchte, bevor Herzog in der Bundesversammlung die Glückwünsche entgegennehmen konnte.

Herzog war ein engagierter Anwalt der Freiheit, ein Rufer nach Erneuerung und ein Streiter für Recht und Demokratie. „Durch Deutschland muss ein Ruck gehen“, forderte er in seiner „Berliner Rede“ am 26. April 1997 am Ende der Kanzlerschaft von Helmut Kohl. Der Ruck jedoch ließ auf sich warten. Es war nur eine von mehreren Grundsatzreden, doch diese Botschaft bleibt. So forderte er, dass Deutschland seine weltpolitische Rolle nach der Wiedervereinigung annehmen und das Trittbrettfahren in der Außen- und Sicherheitspolitik beenden müsse. Ein Appell zur Übernahme von mehr Verantwortung, den später auch seine Nachfolger aufnahmen und erneuerten.

„Roman Herzog hat Reformbereitschaft angemahnt, als die Bundesrepublik dieser Mahnung in besonderer Weise bedurfte“, würdigte gestern Bundespräsident Joachim Gauck den Verstorbenen und sein politisches Vermächtnis. Herzog war ein unbequemer Präsident, ein moderner, ja liberaler Konservativer, der der politischen Klasse ein ums andere Mal die Leviten las. Er wurde seinem Ruf als kritischer Geist und Intellektueller immer wieder gerecht, ohne dabei abgehoben zu wirken. Im Gegenteil: Er verstand es, auch komplexe Sachverhalte verständlich und klar zu vermitteln, pflegte einen besonderen, mitunter auch Schwarzen Humor. Herzog soll auch den Begriff „Laptop und Lederhose“ geprägt haben, mit dem die CSU bis heute wirbt. Nicht Franz Josef Strauß oder Edmund Stoiber waren die Urheber.

Am 50. Jahrestag des Aufstandes im Warschauer Ghetto bat Herzog bei seiner ersten Auslandsreise in Polen um Vergebung, setzte mit seinem Schweigen beim Besuch des Konzentrationslagers Auschwitz ein Zeichen und sorgte dafür, dass der 27. Januar zum Gedenktag an den Holocaust und an die Opfer des Nationalsozialismus wurde. Herzog hatte die Schrecken des Zweiten Weltkriegs selbst als Kind erlebt. Der im niederbayerischen Landshut geborene Sohn eines Archivars schlug nach ausgezeichnetem Abitur und Studium die Juristenlaufbahn ein. Erst mit 39 Jahren wechselte er in die Politik. Helmut Kohl, damals Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, holte ihn in seinen „Talentschuppen“ der CDU als Bonner Bevollmächtigten der Landesregierung. Einen Karrieresprung bedeutet 1978 der Wechsel nach Baden-Württemberg, wo er zunächst als Kultusminister die Schulpolitik prägte und zwei Jahre später das Amt des Innenministers übernahm, mit eiserner Hand und Härte führte und sich als „schwarzer Sheriff“ bundesweit einen Namen machte. In seinen Jahren beim Verfassungsgericht legte Herzog diese harte Haltung wieder ab. Höhepunkt seiner Karriere war schließlich das Amt des Präsidenten von 1994 bis 1999.

Mit Herzog verliere Deutschland einen „hochbeliebten Altbundespräsidenten“ und einen verdienten Patrioten, erklärte Kanzlerin Angela Merkel und erinnerte an dessen „eigenen unnachahmlichen Stil“. Seine kluge Stimme werde fehlen. Herzog lebte zuletzt in zweiter Ehe auf der Götzenburg in Jagsthausen bei Heilbronn mit Gattin Alexandra Freifrau von Berlichingen. Seine erste Frau, die First Lady Christiane Herzog, die sich stark im sozialen Bereich engagiert hatte, war 2000 verstorben.

Im Land hat Herzog laut Ansicht von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) große Spuren hinterlassen. „Humorvoll und in unverstellter Sprache hat er einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass in Deutschland ein Weg dringend notwendiger Veränderungen beschritten werden konnte.“ Als Innenminister habe er hochumstrittene Themen bearbeitet. „Die Raketenproteste in Mutlangen, Hausbesetzungen oder die Frage nach CS-Reizgas für Polizeieinsätze standen ganz oben auf der landespolitischen Agenda“, erinnerte sich Kretschmann. Herzog habe diese Fragen überzeugend und mit großer Souveränität beantwortet. Er habe „die Geschichte der Bundesrepublik stark geprägt“, sagte Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne).

CDU-Landeschef Thomas Strobl würdigte Herzog als großen Staatsmann und beeindruckende Persönlichkeit. Herzog sei als Rechtswissenschaftler wie als Staatsmann immer auf der Höhe der Zeit gewesen, sagte SPD-Landeschefin Leni Breymaier. „Als besonderes Vermächtnis aus seiner Amtszeit ist uns seine Rede aus dem Jahr 1997 in Erinnerung, in der er in einer schwierigen Zeit für eine neue Aufbruchstimmung wirbt“, sagt AfD-Fraktionschef Jörg Meuthen. SPD-Fraktionschef Andreas Stoch beschrieb Herzog als weitblickenden, klugen, humorvollen und sehr bürgernahen Bundespräsidenten, der sich von keiner politischen Richtung habe vereinnahmen lassen. FDP-Landeschef Michael Theurer nannte Herzog einen „besonnenen Reformer“.