103 Metronome bilden bei der Stuttgartnacht im Haus der katholischen Kirche das Ensemble. Foto: Eisenmann Quelle: Unbekannt

Von Andrea Eisenmann

Stuttgart - Tick, tack, tick, tack, tick, tack. 103 Metronome sind bei der langen Stuttgartnacht im Haus der Katholischen Kirche in der Königstraße aufgebaut - und alle klacken gleichzeitig. Allerdings in einem unterschiedlichen Takt. An diesem Abend sind die mechanischen Geräte die Hauptakteure, sie bilden das Ensemble. Zur Aufführung kommt das Stück „Poème Symphonique für 100 Metronome“ des Komponisten György Ligeti. Tobias Wittmann trägt einen schwarzen Anzug und ein weißes Hemd. Er wird das Stück dirigieren - auch wenn der Regionalkantor des katholischen Stadtdekanats dafür nicht viel tun muss. Die Hauptarbeit ist bereits erledigt. Alle 103 Metronome wurden auf verschiedene Geschwindigkeiten eingestellt und um vier halbe Umdrehungen aufgezogen. Jetzt muss Wittmann nur noch den vier Zuschauern, die sich als Helfer gemeldet haben, ein Zeichen geben - und die Geräte werden möglichst zeitgleich in Bewegung gesetzt. Tick, tack, tick, tack. Ein riesiges Klacken erfüllt den Raum, der in den Ohren der Zuhörer immer mehr zu einem Gesamtklang, zu einem großen Bogen, wird. Am Ende ist nur noch das langsamste Metronom zu hören - und dann bewegt sich auch dessen Zeiger nicht mehr. Es herrscht Stille. Keiner spricht, kaum eine Bewegung im Raum ist zu sehen. Dann erst beginnt ein Zuschauer zu klatschen, andere folgen ihm. Das Konzert ist zu Ende, die zuvor vollständig gefüllten Stuhlreihen lichten sich nach und nach, die nächste Einrichtung wird von den Besuchern angesteuert.

Im Haus der katholischen Kirche wird es in dieser Nacht noch zwei weitere Aufführungen geben. Gelohnt hat sich die Idee für die Organisatoren jedoch bereits aus einem anderen Grund. Und der ist in den Geschichten der Besitzer zu finden, auf die sie beim Sammeln der Geräte stießen. Das ungenutzte Metronom einer jungen Klavierschülerin ist ebenso vertreten wie das Familienerbstück, mit dem drei Generationen zum exakten Spielen angehalten wurden. Zusendungen aus München erreichten das Team. „Eine 96-jährige Frau aus einem Seniorenheim teilte uns mit, dass sie gern ihr Metronom ausleihen würde, es aber nicht selbst vorbeibringen könnte“, erzählt Wittman. Die Initiatoren fuhren hin und erlebten eine rührige Begegnung.

Um gänzlich andere Gefühle geht es knapp 200 Meter weiter auf dem Schillerplatz, wo im Licht der Laternen Spukgeschichten erzählt werden. Mehr als 70 Teilnehmer haben sich um die Stadtführerin geschart, die mit bedeutungsschwerer Stimme von einer mysteriösen weißen Frau erzählt. Jedes Mal, wenn ein Mitglied der königlichen Familie verstorben war, entstieg diese zur Geisterstunde aus der Gruft der Stiftskirche und huschte über den Schillerplatz. „Man sagt, es handelte sich bei ihr um eine verwitwete Gräfin, die einen 18-Jährigen ehelichen wollte. Als der Jüngling antwortete, dass einer Verbindung mit ihr vier Augen im Weg stehen, tötete sie ihre beiden Kinder mit Stricknadeln in den Schädel.“ Dabei habe ihr Auserwählter eigentlich an seine Eltern gedacht.

Tobias Bengel wartet bei der Stuttgartnacht im Rathaus mit einer Premiere auf. Vor den Augen des Publikums will er sein neues Sandbild präsentieren, von dem er beteuert, selbst nicht zu wissen, ob es gelungen sei. Als der 24-Jährige schließlich das riesige Bild von der Tischplatte hinweg weg nach oben aufrichtet und der schwarze Sand zu Boden rieselt, präsentiert sich den Besuchern der Anblick eines tätowierten Mannes mit Baby auf dem Arm. Beifall brandet auf. „Stuttgart kann mehr für seine jungen Künstler tun“, ist Bengel überzeugt. „In die meisten Museen kommt man mit seinen Werken erst hinein, wenn man tot ist.“