Die Figur des Cannstatter Bildhauers Emil Kiemlen stellt den Baumeister Matthäus Böblinger dar, der am Bau des Ulmer Münsters beteiligt war. Quelle: Unbekannt

Von Jan-Philipp Schütze

Stuttgart - Zwei leicht bekleidete Schwestern, eine mit nacktem Po, die andere mit entblößter Brust - für die pietistisch geprägten Stuttgarter war die 1808 von Johann Heinrich Dannecker entworfene Nymphengruppe wahrlich ein empörendes Stück Kunst. Mit verschämtem Blick gingen sie an der Skulptur, die um 1818 in einer Ausführung von Friedrich Distelbarth am Anlagensee im Schlossgarten aufgestellt worden war, vorbei. Dem Bildungsbürgertum freilich gefielen die Nymphen. Nicht wenige ließen sich kleine Tischmodelle für das heimische Wohnzimmer fertigen. Ein solches Modell soll der Erzählung nach auch der berühmte Komponist, Pianist und Dirigent Johannes Brahms besessen haben. Nach einem Besuch in Stuttgart bekam er es von seinem Freund Apollo Klinckerfuß als Geschenk nach Wien geschickt, wo es jedoch zerbrochen ankam. Notgedrungen war Brahms monatelang mit dem Zusammenfügen der Bruchstücke beschäftigt.

Eine Zinkgusskopie der Nymphengruppe, angefertigt 1933, ist heute im Städtischen Lapidarium unterhalb der Karlshöhe zu sehen - als eines von mehr als 200 Objekten im einzigen Freilichtmuseum der Landeshauptstadt. Mit seinen Terrassen, alten Bäumen und seinem idyllischen Brunnenhof ist das Lapidarium eine Ruheoase inmitten der Stadt, die nicht nur stressgeplagte Großstädter zum Spazieren und Verweilen einlädt. Entstanden ist die Anlage einst im Jahr 1905 als privater Park von Karl von Ostertag-Siegle, dem Schwiegersohn von Gustav Siegle, einem der reichsten Männer seiner Zeit in Württemberg. Karl von Ostertag-Siegle ließ einen ehemaligen Weinberg neben seinem Wohnhaus in der Mörikestraße nach dem Vorbild italienischer Renaissancegärten terrassieren und eine Wandelhalle anlegen. In deren Laubengang fanden 200 römische Antiken ihren Platz, die der Hausherr von einer Italienreise mitgebracht hatte und die heute noch zu sehen sind.

Im Jahr 1950 schließlich erwarb die Stadt die Anlage, heute ist das etwa 4000 Quadratmeter große Areal ein Teil des Stuttgarter Stadtmuseums. In dem bundesweit einzigartigen Kleinod haben viele Überreste des „alten“ Stuttgart eine Heimat gefunden. Die Skulpturen, Konsolen, Schlusssteine, alten Inschriften, Fragmente von Torbogen, Grabplatten und Architekturteile zerstörter Häuser spiegeln einen wichtigen Teil der Stadtgeschichte wider. Sie stammen zum Teil aus Gebäuden, die im Zuge der Altstadtsanierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts abgerissen wurden, oder sind Trümmerreste des Zweiten Weltkriegs.

„Das Lapidarium ist das steinerne Bilderbuch Stuttgarts“, sagt Manfred Schmid, der sich im Auftrag des Stadtmuseums um den Betrieb des Lapidariums kümmert. In den vergangenen Jahren habe die Zahl ausländischer Besucher stetig zugenommen, so der 63-Jährige. Wohl auch eine Folge dessen, dass das Lapidarium auf zwei amerikanischen Reiseblogs im Internet Erwähnung gefunden hat. Die Besucher aus dem Ausland hätten oftmals den Eindruck: „Wow, so etwas habe ich in Stuttgart nicht erwartet.“

Um die Pflege des Lapidariums kümmert sich die Initiative „Bürger für das städtische Lapidarium“. Die Ehrenamtlichen wachen über die Fundstücke, organisieren Führungen und haben so manche Anekdote zu erzählen. „Ohne die Ehrenamtlichen, die sich herzallerliebst um das Lapidarium kümmern, wäre es nicht in diesem Umfang für die Öffentlichkeit zugänglich“, sagt Anja Dauschek, die Leiterin des Stadtmuseums Stuttgart. Die Helfer sind auch bei den Veranstaltungen aktiv, die in den Sommermonaten Juni, Juli und August stattfinden. In diesem Jahr beispielsweise Lesungen, Aufführungen des Theaters Tredeschin sowie ein Konzert der Stuttgarter Saloniker. Weiterführende Informationen über die Geschichte des Lapidariums, seine Objekte und die Antikenwand im Wandelgang bietet nun auch ein neu aufgelegter Museumsführer, der mit Unterstützung des Vereins Pro Stuttgart und weiterer Sponsoren entstanden ist.

Das Städtische Lapidarium, Mörikestraße 24/1, hat bis zum 11. September jeweils mittwochs bis samstags von 14 bis 18 Uhr und sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei, öffentliche Führungen zum Preis von drei Euro finden mittwochs um 14.30 Uhr statt. Weitere Informationen zur Geschichte des Städtischen Lapidariums und zum Veranstaltungsprogramm gibt es im Internet unter www.lapidarium-stuttgart.de.