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Von Can Merey und Ulf Mauder

Stuttgart - Bis zum Schluss war es eine Zitterpartie für die Landeshauptstadt: Wegen des gescheiterten Putschversuchs und der angespannten Lage in der Türkei hat das Welterbekomitee der Unesco in Istanbul die Entscheidung über Neuaufnahmen am Wochenende immer wieder verschoben. Doch dann gab es am Sonntag unerwartet für die Hoffnungsträger um die zwei Häuser des Stararchitekten Le Corbusier in der Stuttgarter Weissenhofsiedlung doch noch Grund zum Jubeln.

Die Situation in der Türkei ließ gestern nur noch eine verkürzte Sitzung zu - und dennoch führte sie zum heiß ersehnten Erfolg. Nach mehr als einem Jahrzehnt des Kämpfens: Stuttgart hat einen Welterbetitel. „Dass es nun nach zwei Ablehnungen und dann unter diesen dramatischen Umständen in der Türkei geklappt hat, freut uns sehr“, sagte Anja Krämer. Sie ist Leiterin des Stuttgarter Weissenhofmuseums, das sich zusammen mit dem Verein für den Erhalt der Siedlung einsetzt.

Das 2006 eröffnete Museum konnte gestern sein ursprünglich geplantes Sommerfest zum Freudenfest über den Titel umfunktionieren. Eine riesige Chance sei der Titel für das Museum, sagte Krämer. In den vergangenen knapp zehn Jahren seien schon mehr als eine Viertel Million Besucher gekommen. Auch Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn schaute spontan bei der Feier der aufgewerteten Sehenswürdigkeit vorbei. Er sprach von einem „großartigen Erfolg“. Die vor fast 100 Jahren gebauten Häuser seien noch immer vorbildhaft.

Als Rathauschef interessiert er sich für „günstige Wohnungen mit innovativen Grundrissen und neuen Materialien“. Das sei Ansporn für Architekten und Stadtplaner, meinte der Chef der Stadt, in der Wohnraum traditionell knapp und teuer ist. Die Le Corbusier-Häuser waren 1927 Teil einer Bauausstellung mit dem Titel „Die Wohnung“.

Die Weissenhofsiedlung entstand Ende der 1920er-Jahre auf einer Anhöhe des Stuttgarter Talkessels. 17 Architekten waren am „mustergültiges Wohnprogramm für den modernen Großstadtmenschen“ beteiligt, darunter neben Le Corbusier auch Walter Gropius (1883-1969). Die künstlerische Leitung hatte Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969).

Die Stuttgarter schauten in ihrer Großregion, in der die größte türkische Gemeinschaft in Deutschland lebt, besorgt nach Istanbul - nicht nur, weil sie um den Titel fürchteten. Dass die Unesco unter dem Eindruck des letztlich gescheiterten Umsturzversuches noch einmal zusammenkam, damit hatte gestern kaum einer gerechnet. Wegen der blutigen Ereignisse packten die Unesco-Experten dann auch drei Tage vor dem eigentlich geplanten Konferenzende zusammen.

Am Ende konnten Deutschland und Stuttgart aufatmen - wie sechs weitere Länder, in denen ebenfalls zum Welterbe erklärte Le Corbusier-Bauten stehen. Aus Deutschland war es diesmal die einzige Nominierung. Bei der transnationalen Ehrung ging es der Unesco freilich weniger um Stuttgart, sondern darum, dass architektonische Werk des schweizerisch-französischen Architekten und Stadtplaners Le Corbusier (1887-1965) insgesamt zu würdigen - als eine globale Sprache der Architektur.

Noch 2009 und 2011 war die Corbusier-Bewerbung gescheitert. Damals hieß es, es seien „zu chronologisch“ nur wichtige Bauwerke aus der Schaffensphase des Architekten nominiert worden. Nun zeigte sich das Welterbezentrum beeindruckt von einem „weltumspannenden Antrag“. Deutschland hat damit nun 41. Welterbestätten. Die Hamburger Speicherstadt und das Kontorhausviertel waren im vergangenen Jahr aus Deutschland in die begehrte Liste aufgenommen worden. Der Aachener Dom war 1978 der erste Titelträger.

Welterbestätten in BW

(dpa) - Neben den zwei Häusern der Stuttgarter Weissenhofsiedlung des Stararchitekten Le Corbusier liegen von 41 Welterbestätten in Deutschland noch vier weitere in Baden-Württemberg. Dazu gehören seit 1993 das Zisterzienserkloster Maulbronn sowie seit dem Jahr 2000 die Klosterinsel Reichenau im Bodensee. Außerdem wurde im Jahr 2005 der obergermanisch-rätische Limes aufgenommen. Vor fünf Jahren kam mit den prähistorischen Pfahlbauten um die Alpen noch ein weiteres grenzüberschreitendes Weltkulturerbe hinzu. 15 der mehr als 100 Pfahlbaufundstellen liegen in Baden-Württemberg.