In mehr als 71 Prozent aller Zusammenstöße mit Stadtbahnen waren im vergangenen Jahr Auto- oder LKW-Fahrer Schuld. Jeden fünften Unfall mit den 55 Tonnen schweren Zügen verursachte ein Fußgänger.Archiv Foto: Steegmüller Quelle: Unbekannt

Von Sebastian Steegmüller

Stuttgart - Im vergangenen Jahr hat es auf Stuttgarts Straßen 26 704 Mal gekracht. So häufig wie nie zuvor in der Landeshauptstadt. Statistisch betrachtet ereignen sich somit im Stadtgebiet jeden Tag 73 Unfälle, bei denen sieben Menschen zu Schaden kommen. Erfreulich: Die Zahl der insgesamt verletzten Personen ist 2016 um 7,5 Prozent zurückgegangen.

Egal ob Fußgänger, Rad- oder Autofahrer - immer mehr Verkehrsteilnehmer halten sich in Stuttgart offenbar nicht mehr an die Regeln. Polizeipräsident Franz Lutz wollte bei der gestrigen Vorstellung der Unfallbilanz 2016 im Polizeipräsidium zwar das Wort „Rowdytum“ nicht in den Mund nehmen. Ihm ist jedoch nicht entgangen, dass das Verhalten auf den Straßen aggressiver geworden ist. „Das beste Beispiel ist der Umgang mit Autofahrern, die pennen oder am Straßenrand liegen bleiben. Sie werden niedergehupt, auch wenn es nichts bringt.“ Er appelliert daher an die Verkehrsteilnehmer, dass sie die „Regeln einhalten und Rücksicht nehmen sollten - das muss in den Köpfen wieder präsenter werden“.

Der Blick in die Statistik unterstreicht die Vorwürfe des Polizeichefs: Im vergangenen Jahr wurden beispielsweise 1077 Rotlichtverstöße registriert. Seit 2013 stieg der Wert - auch den verstärkten Kontrollen geschuldet - von 398 kontinuierlich an. „Das Verhalten lässt zu wünschen übrig“, so Lutz. „Nicht nur im Berufsverkehr werden die Ampeln nicht beachtet, selbst bei einer Kontrolle zur Mittagszeit habe man innerhalb einer Stunde 14 Autofahrer erwischt“, fügte Claudia Rohde, die Leiterin der Verkehrspolizei, hinzu. Alarmierend sei auch, wie sich Verkehrsteilnehmer durch elektronische Geräte ablenken lassen, nicht nur durch das Telefonieren an sich, sondern auch durch das Bedienen von Smartphones und anderen Geräten. „Für uns ein ganz großes Problem“, sagte Ludwig Haupt, Leiter des Referats Prävention. Bei 70 Großkontrollen wurden 5549 Verkehrsteilnehmer mit dem Handy am Steuer erwischt. „Der Nachweis ist für uns wirklich schwierig.“ Lutz betonte, dass verlässliche Zahlen zum Handy als Unfallursache zwar fehlen würden. „Wir gehen aber von einem hohen Dunkelfeld aus.“ Das Hantieren mit elektronischen Geräten am Steuer sei hochgefährlich und verantwortungslos. „Dies muss den Verkehrsteilnehmern bewusst werden.“ Der überwiegende Anteil der Unfälle habe seine Ursache in fahrlässigem oder gar vorsätzlichem Missachten der Vorschriften.

Auch hier stützt die Unfallbilanz die Aussagen der Polizisten: Die Missachtung der Vorfahrt hat im vergangenen Jahr Fehler beim Abbiegen, Rückwärtsfahren und Wenden als häufigste Unfallursache abgelöst. „Teilweise spielen hier auch die verbesserten Assistenzsysteme eine Rolle“, so Rohde. Trotz all der Technik konnte jedoch nicht verhindert werden, dass die Zahl der Unfälle in der Landeshauptstadt 2016 auf einen neuen Höchststand kletterte. 26 704 Zusammenstöße, zwei mehr als im Vorjahr, wurden registriert. Davon waren knapp 2000 Unfälle mit Personenschaden (minus 7,5 Prozent), bei denen letztlich 2537 Menschen verunglückten. „Dies sind fast neun Prozent weniger als noch in 2015 und die geringste Anzahl in den vergangenen 40 Jahren“, so Lutz. Die Zahl der Schwerverletzten sei indes nach einem Tief im Jahr 2015 wieder auf 300 angestiegen. Mit einem Plus von 16,7 Prozent wurde damit fast das Niveau des Jahres 2014 (301 Verunglückte) erreicht. Trauriger Höhepunkt: Wie schon im Vorjahr verloren 2016 acht Menschen auf Stuttgarts Straßen ihr Leben: Zwei Autofahrer, ein Verkehrsteilnehmer mit seinem Pedelec und fünf Fußgänger. Zwei der Verstorbenen liefen vor Stadtbahnen, zwei weitere Passanten missachteten das Rotlicht.

Der Polizeichef gibt den Verkehrsteilnehmern jedoch nicht die alleinige Schuld an den vielen Unfällen. „2016 hat die Zahl der Autos, die durch Stuttgart fahren, um zwei Prozent zugenommen. Die Verkehrsdichte ist enorm, gleichzeitig der Verkehrsraum im Talkessel begrenzt und aufgrund von Baustellen permanent verändert.“ Als Beispiel nennt er den Kurt-Georg-Kiesinger-Platz am Hauptbahnhof, an dem sich Autofahrer ständig umstellen müssten. „Die Vielzahl der unterschiedlichen Verkehrsbeziehungen und Verkehrsarten sowie die Informationsflut fordern offenbar trotz der technischen Verbesserungen ihren Tribut.“

Selbst Stadtbahnen werden regelmäßig übersehen. Allein 2016 kam es zu 108 Zusammenstößen mit den 55 Tonnen schweren Zügen - eine Zunahme von elf Prozent. Rohde relativiert jedoch: „Gründe für den Anstieg sind auch die Erweiterung der Strecken und die Erhöhung des Taktes.“ Dennoch habe man gemeinsam mit der Stuttgarter Straßenbahnen AG die Öffentlichkeitsarbeit ausgebaut, immerhin wurden neun von zehn Unfällen von Auto- und Lkw-Fahrern beziehungsweise Fußgängern verursacht. Mit einem Video, das auch in sozialen Netzwerken gepostet wurde, weise man auf die Gefahren hin. Darüber hinaus habe man an Stellen, an denen häufig über die Gleise verbotswidrig abgebogen wird, die Kontrollen intensiviert. Zudem prüfe man, ob Unfallschwerpunkte entschärft werden können.