Aus Sicht von Martin Exner, Präsident der deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene, und Matthias Trautmann vom Klinikum Stuttgart (rechts) kann die Intensivstation wieder in Betrieb genommen werden. Foto: Steegmüller Quelle: Unbekannt

Von Sebastian Steegmüller

Stuttgart - 1946 wurde der Kampfmittelbeseitigungsdienst (KBMG) in Baden-Württemberg gegründet. Seit Kriegsende wurden mehr als 24 500 Fliegerbomben entschärft und vernichtet. Auch 70 Jahre nach Kriegsende sind die Mitarbeiter noch im Einsatz. Quasi täglich müssen sie von ihrer Zentrale, die abgeschieden in einem Waldgebiet zwischen Vaihingen und Böblingen liegt, landesweit ausrücken.

Zwischen 850 und 950 Fundmeldungen gehen pro Jahr beim Kampfmittelbeseitigungsdienst, der dem Regierungspräsidium unterstellt ist, ein. Ein Großteil davon kommt von Waldarbeitern, Förstern, Pilzesammlern oder Spaziergängern. Allein 2016 sind bereits 50 Tonnen Munition aufgefunden worden. Die Spitze des Eisbergs in diesem Jahr: 15 Bomben mit einem Gewicht von mehr als 50 Kilogramm. Das Problem: Die Blindgänger werden mit all den Jahren nicht ungefährlicher. Im Gegenteil: Sie rosten, schon geringere Erschütterungen können sie zur Detonation bringen. Vor allem in Wohnvierteln eine heikle Aufgabe. Im November 2014 wurde beispielsweise mitten in Feuerbach ein 250 Kilogramm schwerer Koloss entdeckt, das Areal im Umkreis von 250 Metern abgesperrt. Erst als 4000 Menschen, die dort arbeiteten oder wohnten, evakuiert waren, machte sich Ralf Vendel, der Leiter des Kampfmittelbeseitigungsdienstes, ans Werk. Innerhalb von acht Minuten entfernte er den Zünder - mit ruhiger Hand. Angst habe er bei solch einem Einsatz nicht. „Dann wäre ich hier fehl am Platz, eher Respekt.“ Man müsse schon cool bleiben.

Seit 30 Jahren ist er als Entschärfer im Einsatz, die Gefahr, dass sich Routine und dadurch Fehler einschleichen, bestehe dennoch nicht. „Es gibt keine Automatismen. Jedes Mal, wenn wir gerufen werden, bietet sich uns eine neue Situation. Die Bomben liegen immer anders.“ Komplett die Gefahr ausblenden, kann der 50-Jährige dennoch nicht. „Ich mache mir schon Gedanken, wenn ich von Kollegen aus anderen Bundesländern höre, die bei der Arbeit ums Leben gekommen sind.“

Auch in Baden-Württemberg sind die Sprengkommandos von schweren Unfällen mit Munition nicht verschont geblieben. Seit Bestehen des Kampfmittelbeseitigungsdienstes wurden 13 Mitarbeiter tödlich verletzt. „Sie haben im Dienst für unser Land und für die Sicherheit der Bürger ihr Leben verloren“, sagte Innenminister Thomas Strobl gestern bei einem Rundgang über das Areal. Erfreulich: Durch den hohen Ausbildungsstand und das verbesserte technische Equipment liegen die letzten Vorfälle mehr als sechs Jahrzehnte zurück.

Strobl versicherte dem Team, dass es für das Land unverzichtbar sei. Kein Wunder: Dass den 33 Experten in Vaihingen in absehbarer Zeit die Arbeit ausgeht, ist unwahrscheinlich. Nur über Stuttgart sind im Zweiten Weltkrieg von den alliierten Streitkräften rund 25 000 Sprengbomben abgeworfen worden. Bis zu 15 Prozent fielen als Blindgänger vom Himmel. Viele davon konnten während der Kriegswirren nicht mehr entschärft und geborgen werden. Es ist davon auszugehen, dass es noch Jahrzehnte dauern kann, bis alle Munitionsfunde im Land unschädlich gemacht sind. Ein Weg, um sie heute zu orten, ist die Auswertung von Luftaufnahmen. Mehr als 110 000 Bilder wurden gesammelt und digitalisiert. Sigfried Müller, Computerexperte beim Kampfmittelbeseitigungsdienst, legt alte und neue Aufnahmen übereinander und kann so Rückschlüsse ziehen. „Blindgänger hinterlassen nur einen Krater von einem oder zwei Metern. Bomben, die explodiert sind, einen Trichter von 15 Metern.“

Müllers Wissen war Ende 2010 unter anderem vor dem Bau des Rosensteintunnels gefragt. Über dem darüberliegenden Park seien im Zweiten Weltkrieg rund 400 Bomben abgeworfen worden. Während der Laie in den Luftaufnahmen nur ein Bild der Zerstörung sieht, konnten die Experten vor sechs Jahren 35 verdächtige Stellen ausmachen, an denen Blindgänger vermutet wurden. Drei wurden schließlich entdeckt und entschärft.