Hans-Peter Schühlen im Polizeimuseum Stuttgart. Nach 40 Jahren Dienstzeit hat der Kriminalhauptkommissar seine spektakulärsten Fälle im Buch „Stuttgarter Tatorte“ zusammengefasst. Foto: Steegmüller Quelle: Unbekannt

Von Sebastian Steegmüller

Stuttgart - Hans-Peter Schühlen ist seit mehr als zwei Jahren im Ruhestand, so richtig abschalten von seiner Arbeit als Kriminalhauptkommissar bei der Mordkommission kann er dennoch nicht. „Wenn ich durch Stuttgart gehe, werde ich quasi an jeder Ecke an alte Fälle erinnert“, sagt der 65-Jährige. „Manche Bilder lassen mich nicht mehr los.“ Beispielsweise als der zweifache Familienvater zu einem Brand im Hallschlag gerufen wurde, bei dem vier Kinder ums Leben kamen. Generell seien alle Unglücke und Tötungsdelikte mit minderjährigen Opfern besonders tragisch. „Das steckt keiner so leicht weg, das geht an die Substanz.“ Wirklich schlimm sei auch, solche Nachrichten den Eltern zu übermitteln. „Da sträubt sich jeder Kollege davor.“

Viel gesprochen über die Eindrücke, die in seiner 40-jährigen Dienstzeit bei der Polizei auf ihn eingeprasselt sind, habe er dennoch nicht. „Natürlich haben wir uns bei der Mordkommission untereinander ausgetauscht, ansonsten bin ich aber eher der introvertierte Typ und wollte meine Arbeit auch nicht in die Familie reintragen.“ Dass sie ihn emotional belastet hat, verschweigt er jedoch nicht. Nicht umsonst habe er Herzprobleme. „Samt Stent und Bypass“, sagt Schühlen mit einem leichten Schmunzeln.

Mittlerweile hat der Ermittler, der ursprünglich zur Flugsicherung wollte und nur wegen eines Werbeplakats 1974 bei der Kripo gelandet ist, etwas Abstand zu seinem Beruf gefunden. Zur Verarbeitung mehrerer hundert Tötungsdelikte, die er im Team bearbeitet hat, biete er regelmäßig Führungen zu Stuttgarter Tatorten an und hat nun unter dem gleichnamigen Titel ein Buch herausgebracht. Mit dem Blick eines Insiders, aber auch mit dem nötigen Feingefühl berichtet er darin über seine spektakulärsten Fälle. Er blickt in die Abgründe von Mord, Totschlag und Brandstiftung hinab, schildert unter anderem Ermittlungen im Rotlichtmilieu. Ein Callgirl, das im Jahr 1976 von ihrem Zuhälter ermordet wurde, erhält beispielsweise ein eigenes Kapitel. Ebenso das Tötungsdelikt eines Volksfestmitarbeiters, der 1978 im Cannstatter Bellingweg erschlagen aufgefunden wurde. Der Fall sei schnell geklärt gewesen. Eine wichtige Frage stellte jedoch die exakte Tatzeit dar. „Der Täter hat den Mord an seinem 21. Geburtstag gegen 1 Uhr nachts begangen und wurde daher zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Eine Stunde früher und er wäre wohl deutlich kürzer ins Gefängnis gegangen“, sagt der ehemalige Kriminalhauptkommissar, der zugibt, seine Dienstwaffe zwar schon mal in einem Möbelhaus verlegt zu haben. „Zum Glück hat das keiner mitgekriegt, sonst wäre meine Karriere schnell vorbeigewesen.“ Er habe sie jedoch in 40 Jahren nie benutzen müssen. „Wilde Schießereien, dramatische Verfolgungsfahrten und explodierende Fahrzeuge wie im Fernsehen gibt es nicht“, so Schühlen, der Krimis mit seiner Frau nur noch anschauen darf, „wenn ich den Mund halte“. Vor allem TV-Serien, die von sogenannten „Cold Cases“ handeln, also unaufgeklärten, aber seit Jahren ruhenden Kriminalfällen handeln, lehne er ab. „Das habe ich einmal angeschaut und dann nie wieder.“ Sie seien zu realitätsfern. Der 65-Jährige muss es wissen, nicht ohne Grund wird er von seinen ehemaligen Kollegen liebevoll der „Katakombenkommissar“ genannt. „In den letzten zehn Jahren meiner Dienstzeit habe ich mir zum Ziel gemacht, alle ungeklärten Mordfälle seit 1945 aufzurollen.“ Dazu habe er die Keller des Polizeipräsidiums bis ins „dunkelste Eck“ nach Asservaten durchstöbert. Auslöser waren damals die neuen Methoden zur Analyse von DNA-Spuren, Fingerabdrücken und Hautpartikeln. „Eine bahnbrechende Revolution zur Aufklärung von Straftaten.“

Binnen fünf Minuten, wie in manchem Fernsehkrimi, bekomme man dennoch keine Ergebnisse aus dem Labor zurück. „Das ist eine sehr aufwendige Arbeit. Bei einer Jacke, die das Opfer getragen hat, muss man jede Faser Millimeter für Millimeter nach Spuren untersuchen.“ Akribie, die sich jedoch auch schon ausgezahlt hat. Neun „Cold Cases“ konnten so noch aufgeklärt werden. Unter anderem ein Mord in Feuerbach. Nach 19 Jahren habe man einem Mann überführen können, der 1989 seinen Zechkumpel mit einem Brillenputztuch erstickt hatte.

Keine Rolle in seinem Buch spielen indes die brutalen Morde an der 17-jährigen Anja Aichele (1987 in Bad Cannstatt erwürgt) und an der 20-jährigen Sabine Binder (1981 in Möhringen erstochen), obwohl sie ihn sehr beschäftigt haben. „Ich habe bewusst auf ungeklärte Fälle verzichtet.“ Zu groß sei ihm die Gefahr gewesen, Täterwissen preiszugeben. „Ein heißes Eisen. Ich hoffe jedoch, dass meine Kollegen die beiden Morde noch auflösen werden.“

Hans-Peter Schühlens Buch „Stuttgarter Tatorte - Meine spektakulärsten Fälle“ ist im Silberburg-Verlag unter der ISBN 978-3-8425-2012-7 für 19,90 Euro erschienen.