Am Samstagmittag setzte sich ein überwiegend friedlich verlaufener Demonstrationszug durch die Innenstadt in Bewegung. Die Polizei sprach von 1800 Teilnehmern. Quelle: Unbekannt

Stuttgart (mk/uli) - Die Polizeispitze, aber auch die Messe- und Flughafenverantwortlichen sowie die Sicherheitskräfte in Stuttgart atmen auf. Die befürchteten Ausschreitungen rund um den Bundesparteitag der AfD auf dem Messegelände und anschließend beim Protestzug durch die Innenstadt blieben aus. Dass die Polizei dennoch alle Hände voll zu tun hatte, zeigt unsere Chronologie des Samstags.

Samstag, 6 Uhr: Rund 1000 Polizisten riegeln die Messehalle, in der die AfD ab 10 Uhr ihren Bundesparteitag abhalten will, großräumig ab. Zwei Hubschrauber kreisen über dem Gelände und vier Wasserwerfer stehen bereit. Gespannte Atmosphäre. Es heißt, Busse mit mehreren 100 Personen aus dem linksautonomen Spektrum seien auf dem Weg zum Messegelände.

6.30 Uhr: Die ersten Reisebusse mit Gegendemonstranten treffen ein und kurz darauf geht‘s los. Bengalisches Feuer wird angezündet und aus der Menge der überwiegend Schwarzgekleideten werden vereinzelt Böller geworfen und Leuchtraketen abgeschossen. Laut Polizei haben sich einige an einer Baustelle mit Stangen und Steinen bewaffnet. Polizeibeamte kreisen die Gruppe ein und nehmen die ersten „erkennbar unfriedliche Personen“ in Gewahrsam.

7.15 Uhr: Einige Dutzend Personen versuchen den Zubringer von der B 27 und der A 8 zur Landesmesse zu blockieren. Autoreifen stehen in Flammen. Die Feuerwehr hat die Situation schnell im Griff, löscht die brennenden Reifenstapel. Der Verkehr ist nur kurz blockiert. Reisenden am Flughafen und der S-Bahnstation bekommen von den Zwischenfällen nichts mit. Die Situation beruhigt sich. Einige Randalierer versuchen sich über die Autobahn und die Felder Richtung Plieningen dem Zugriff der Polizei zu entziehen, werden jedoch ebenfalls festgenommen.

8.30 Uhr: Allmählich treffen die Delegierten des AfD-Parteitags ein und werden von einer kleine Gruppe von Demonstranten empfangen. Keine Chance, auf direktem Weg zur Messehalle zu gelangen, also geht‘s ab durch die Büsche. Erst nach einer Viertelstunde gibt es Geleitschutz. Die Polizei bildet eine Gasse für die AfD-Mitglieder. Jetzt ist Spießrutenlaufen angesagt. „Es gibt kein Recht auf Nationalismus“ oder „Haut ab“ brüllen die Demonstranten. Nur vereinzelt kommt es zu verbalem Streit oder Handgreiflichkeiten.

9.10 Uhr: Rund 200 teilweise vermummter Demonstranten bewegen sich in Richtung Messepiazza, dem offiziellen Kundgebungsort. Sie versuchen das Parkhaus zu blockieren. Die Polizisten reagieren sofort. Bilden eine Kette. Ein Wasserwerfer rollt vor. „Bitte begeben Sie sich an den Kundgebungsort“, fordert der Wasserwerferfahrer. Die Situation beruhigt sich. Fast Festivalstimmung bei 1000 friedlichen Demonstranten des Aktionsbündnisses. Pink gekleidete Trommlerinnen setzen sich vor den Wasserwerfer. Eine Frau will ein Polizeipferd mit einem Apfel füttern.

10 Uhr:Die AfD-Delegierten gelangen entspannt zur Halle. Hektisch wird‘s dagegen wenige 100 Meter entfernt auf der Flughafenstraße. Von den gewaltbereiten Störern werden sukzessive Einzelne gefesselt und abgeführt. Einige wehren sich und müssen zum Einsatzbus getragen werden. Dort werden sie fotografiert und anschließend zu einer Messehalle gebracht. Deren Protesttag war definitiv vorbei.

10.30 Uhr: Die Lage rund um die Messehalle entspannt sich, doch die Verschnaufpause für die Einsatzkräfte ist nur kurz. Die Demonstranten bewegen sich ab 11 Uhr Richtung S-Bahnstation, von wo es in die Stuttgarter City geht. Dort gehen die Proteste gegen die AfD weiter.

12 Uhr: Polizeihubschrauber kreisen über der Landeshauptstadt. „Die Lage ist ruhig. Mehr als 1000 Demonstranten versammeln sich in der Lautenschlagerstraße, darunter auch gewaltbereite“, sagt Polizeisprecher Stefan Keilbach.

12.45 Uhr: Die Straßen des Cityrings sind gesperrt, verzweifelte Autofahrer suchen sich eine Ausweichstrecken. Der Demonstrationszug darf dennoch nicht loslaufen. Die Transparente sind länger als erlaubt. Diskussionen, Unmut und natürlich Buh-Rufe.

14 Uhr: Der Protestzug, die Polizei schätzt etwa 1800 Teilnehmer, setzt sich endlich in Bewegung. Die Demonstration verläuft überwiegend friedfertig. Nur vereinzelt werden Bengalos gezündet. „Weitgehend ruhig, allerdings wurden Kollegen mit Farb- und Kotbeutel beworfen“, zieht Stefan Keilbach gegen 17 Uhr eine erste Bilanz.

18 Uhr: Die Demonstration löst sich auf, auch der Auto- und Busverkehr in der City fließt wieder normal. Nur der S-Bahnverkehr meldet eine Weichenstörung. Einige Demonstranten folgen der Aufforderung, zum Messegelände zu fahren. Dort lässt die Polizei die am Morgen in Gewahrsam Genommenen wieder frei.

Bilanz: Insgesamt hat die Polizei am Samstag rund 600 gewaltbereite Demonstranten aus dem Verkehr gezogen. „Danach herrschte mehr oder weniger Ruhe - unsere Taktik ist aufgegangen“, so ein Polizeisprecher. Unter den Festgenommenen befanden sich auch drei Fotojournalisten. Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) innerhalb der Gewerkschaft Verdi nannte das Vorgehen gestern „skandalös“. Sie prüfe rechtliche Schritte gegen die Polizei. Ein Sprecher der Polizei sagte: „Wir sehen das Vorgehen als gerechtfertigt an.“ Drei Pressefotografen wurden laut dju während der Proteste am Samstag an der Messe in Gewahrsam genommen. Zwei von ihnen seien elf Stunden festgesetzt worden, der dritte habe wahrscheinlich einen Kreislaufzusammenbruch erlitten - er sei ins Krankenhaus gekommen. Die dju kritisierte, die Fotografen, die sich als Journalisten ausweisen konnten, seien unverhältnismäßig lange festgehalten und auch mit Kabelbindern gefesselt worden. Ein Sprecher der Polizei Reutlingen sagte, den Fotografen werde ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr vorgeworfen. Sie hätten sich in einer „unfriedlichen Versammlung“ aufgehalten und die Straße trotz mehrfacher Aufforderung nicht geräumt. Es ging dabei laut Polizeisprecher unter anderem um eine Aktion auf der A8 - dort seien auch Autoreifen angezündet worden.

Am Samstag gab es neben den gut 600 Festnahmen noch mehr als 500 Platzverweise. Zudem wurden 460 Strafverfahren wegen Landfriedensbruch, gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr, Verstößen gegen das Versammlungsgesetz, Beleidigung, Nötigung und Körperverletzung eingeleitet. Bei den Auseinandersetzungen am Samstag wurden zwei Polizisten leicht verletzt. Demonstranten trugen auch Verletzungen davon. Am Sonntag blieben weitere Störungen rund ums Messegelände aus. Insgesamt waren am Wochenende dort bis zu 1700 Polizisten im Einsatz.

Kundgebung 1. Mai

Gegen 10 Uhr hatten sich gestern bis zu 1600 Personen auf dem Marienplatz zu einer Kundgebung des DGB Nordwürttemberg zum Thema „Zeit für mehr Solidarität“ versammelt. Der Aufzug führte über die Tübinger Straße, Torstraße, Hauptstätter Straße, Planie und Schillerplatz zum Marktplatz, wo die Teilnehmer gegen 11 Uhr eintrafen. Um 11.30 Uhr begann auf dem Schillerplatz die „Revolutionäre 1. Mai Demo“. Hier versammelten sich rund 450 Personen. Nach der Auftaktkundgebung begann ein Aufzug, der über den Wilhelmsplatz und den Marienplatz zum Erwin-Schöttle-Platz führte. Dort endete die Versammlung um 13.40 Uhr. Während des Aufzugs sind mehrere pyrotechnische Gegenstände gezündet worden und an einer Engstelle in der Münzstraße kam es zu einer Rangelei zwischen Demonstrationsteilnehmern und Einsatzkräften, die dabei Pfefferspray und Schlagstöcke einsetzten. Ein Demonstrant erlitt dabei Augenreizungen.