Quelle: Unbekannt

Joachim Wolfer, Pfarrer in der Ev. Kirchen- gemeinde Wangen

„Bete und arbeite“. Diese kurze Formel haben Sie bestimmt schon einmal gehört. „Ora et labora“ stammt von Benedikt von Nursia, der im Abendland den ersten Mönchsorden begründet und diesen Mönchsorden unter anderem auch auf diese Regel aufgebaut hat: Sich abwechselnd Zeit nehmen für das Beten und für das Arbeiten, sodass sich beides gegenseitig beeinflusst. Und das ist schon rund 1500 Jahre her.

Mönche? Vielleicht meinen Sie, das ist doch out, nicht mehr zeitgemäß. Darüber würde der heute in Deutschland bekannteste Benediktinermönch Anselm Grün nur lächeln. Wo er von benediktinischen Weisheiten erzählt, sammeln sich keine Hinterwäldler, sondern Manager und andere Top Performer, also sogenannte Leistungsträger oder solche, die sich dafür halten. Sie suchen bei diesem Mönch aus Münsterschwarzach Ratschläge und Anregungen für ihr heutiges Leben, das ständig davon bedroht ist, gänzlich in der Arbeit und im Leistungsdenken zu versinken.

Es sind gerade die Menschen, die viel arbeiten, die besonders sensibel dafür sind, dass Arbeit alleine nicht sinnerfüllend ist und dass Erfolg in der Arbeit nicht nur durch Arbeiten alleine zustande kommt. Die Weisheit dieser doppelten Aufforderung „ora et labora“ liegt darin, dass sich beten und arbeiten nicht gegenseitig ausschließen, dass es also nicht heißt, bete oder arbeite. Beten und arbeiten sind keine Widersprüche, sondern ergänzen sich und brauchen sich auch gegenseitig. Wer nur verträumt in den Himmel schaut, der stolpert gewöhnlich beim nächsten Hindernis auf seinem Weg und fällt. Und wer nur selbstüberheblich auf seine Hände starrt und blind vor sich hin wurstelt, der gräbt sich selbst die Grube. Denn er verliert den größeren Sinn aus den Augen. Orare et laborare - beten und arbeiten brauchen sich gegenseitig. Die Vita contemplativa, also das in Betrachtung versinkende Leben, und die vita activa, das tätig zupackende Leben, können nur gelingen, wenn sie sich einander ergänzen.

Mir ist der weise Benedikt deshalb für heute eingefallen, weil mit dem gestrigen Sonntag - übrigens dem Wochenbeginn für uns Christen - der Kirchensonntag Rogate (betet!) mit dem Tag der Arbeit zusammengefallen ist. Und weil sich damit für den ein oder anderen vielleicht die Frage gestellt hat, was denn nun an diesem Sonntag wichtiger sei: Den Gottesdienst zu feiern und zu beten, oder zur Kundgebung auf den Schlossplatz zu gehen und für mehr Solidarität in unserer Gesellschaft zu demonstrieren.

Aber auch da konnte man merken, dass sich beides notwendig ergänzt, denn der Gottesdienst fand vormittags, die Kundgebung fand nachmittags statt. Und auch die Aussagen sind sich nahe, denn was bedeutet das Wort Solidarität vom Inhalt her anderes als das christliche Wort von der tätigen Nächstenliebe. Gut, dass dabei das Beten zeitlich betrachtet am Anfang steht.