Der 94-Jährige mit dem Abschiedsgeschenk der Kollegen: einem im Werk gegossenen Wanderschuh. Foto: Kuhn Quelle: Unbekannt

Von Mathias Kuhn

Das Mercedes-Benz-Werk Untertürkheim feierte vergangenes Jahr „100 Jahre Berufsausbildung“. Zu den ältesten noch lebenden Ex-Azubis gehört Walter Ott. Der Luginsländer begann als damals als 14-Jähriger im April 1937 eine Lehre im Stammwerk. Der 94-Jährige erinnert sich noch lebhaft an seine Anfänge: Feilen, Bohren, Fräsen, aber auch Schönschreiben, da er nach der Ausbildung seine Karriere als technischer Zeichner und später als gefragter Konstrukteur fortsetzte.

Zum Ende der Schulzeit gab‘s für den jungen Ott keine großen Überlegungen: Der Vater arbeitete als Werkschreiber beim Daimler, viele Nachbarn waren im Stammwerk beschäftigt, also bewarb der 14-Jährige sich ebenfalls beim Autobauer und bekam die Zusage für die Lehrstelle als Mechaniker. „Im April 1937 war mein erster Arbeitstag als Stift“ erinnert sich Ott an den Einstand. Mit hundert weiteren Lehrlingen - Bewerberinnen gab es keine - stand er an einer der Werkbänke. Damals - wie teilweise noch heute - mussten die Stifte Grundfertigkeiten lernen: Feilen, Bohren, Fräsen, Sägen, Drehen und: Schönschreiben. Im ersten Lehrjahr mussten sie zudem drei Tage in der Schmiede mitarbeiten. Den Jugendlichen wurde nichts geschenkt. Die Wochenarbeitszeit betrug 48 Stunden - samstags war erst um 12 Uhr Schluss. Die Lehrzeit dauert 3,5 Jahre. Härterei, Schweißerei und Praktikumseinsätze in der Produktion inklusive.

„Einer meiner Freunde ermunterte mich, ein Praktikum zu machen. Er wollte Ingenieur werden, ich aber Mechaniker bleiben“, erinnert sich Ott. Letztendlich überredete der Freund ihn doch noch und Ott verbrachte ein paar Wochen bei den Technischen Zeichnern. Die Arbeit am Reißbrett machte ihm Freude, „aber ich war zu schüchtern, mich frühzeitig um einen Arbeitsplatz nach Ende der Lehrzeit zu kümmern“, gesteht der Luginsländer lachend. Der Leiter der Abteilung nahm ihm die Entscheidung ab. „Er fragte mich, ob ich mir trotz Mechanikerausbildung vorstellen könne, am Zeichentisch zu stehen.“ Otts Antwort: „Nichts lieber als das.“ Die Entscheidung hat er nie bereut. Die Freude war zunächst von kurzer Dauer. „Der Kommiss“ brauchte den jungen Mechaniker in Frankreich als Flakhelfer. In Cherbourg kam er in Gefangenschaft, zunächst in britische und von dort 2,5 Jahre nach Amerika - „glücklicherweise“, fügt Ott an.

Mithilfe beim Wiederaufbau

Der Wiedereinstieg in den Beruf war schwer. Das Motorenwerk lag in Trümmern. Er sollte als Bauhelfer arbeiten, bekam dann einen Job als technischer Zeichner in Waiblingen beim Vater des späteren Werkleiters Hermann Haug. „Für die US-Kräfte wurden die Dodge-Fahrzeuge auf Vordermann gebracht.“

Nach einem Jahr hatte sich Otts Talent herumgesprochen. „Direktor“ Wilhelm Künkele, der technische Leiter des Motorenwerks, holte ihn wieder nach Untertürkheim und baute ihn langsam auf. Die Aufgaben wurden immer schwieriger. „Wir erhielten von den Konstrukteuren Skizzen auf Pergamentpapier, die wir detaillierter zeichnen und bemaßen mussten.“ Es ging zunächst um kleine Vorrichtungen fürs Fräsen oder Bohren. Später war Ott Spezialist für Lecköl-Prüfstände für Ventile und stieg selbst in den Rang des Konstrukteurs auf. Seine Abteilung Vorrichtungskonstruktion wurde nach Mettingen verlegt. „In ein Großraumbüro im Krawattensilo der Angestellten. Wir verzichteten aber auf den Strick.“ Mit 62,5 Jahren, nach 49,5 Arbeitsjahren beim Daimler, ging Ott in den Vorruhestand und frönte seiner Leidenschaft: Campen mit seiner Frau in einem Wohnmobil, Bergwandern und Europa entdecken. Daimler und dem Stern blieb Ott verbunden: als mittlerweile ältestes Mitglied der Alten Garde und durch familiäre Bande. „Ich habe das Daimler-Virus von meinem Vater geerbt und weitergegeben. Mein Schwiegersohn arbeitet in Untertürkheim und die beiden Enkel haben sich als Ingenieur bei Daimler bewährt“, sagt Ott lachend.