Ansicht des Bahnhofsvorplatzes - des heutigen Karl-Benz-Platzes - vor der Neckarverlegung im Jahr 1924. Das markante Bahnhofsgebäude passt gut ins Ortsbild. Fotos: Archiv Hahnvor Quelle: Unbekannt

Von Mathias Kuhn

Man lässt ihn fast unbeachtet links liegen oder läuft gedankenlos durch ihn hindurch, obwohl er eigentlich als ein Symbol für den Fortschritt für den Stadtbezirk steht: der Personenbahnhof in Untertürkheim. Um das Gebäude, das heute wenig Beachtung findet, beneideten die Nachbarkommunen Untertürkheim im 19. Jahrhundert. Am 26. September vor 120 Jahren - einen Tag vor dem Geburtstag von König Wilhelms I. - wurde das Bahnhofsgebäude im Beisein von König Wilhelm II. feierlich eingeweiht. Es ist bereits das zweite Bahnhofsgebäude in Untertürkheim und steht auf historischem Grund: direkt an der ersten Eisenbahnstrecke in Württemberg. König Wilhelm I. von Württemberg hatte um 1830 die Eisenbahn als ein Zugpferd des Fortschritts erkannt und den Bau von Zugstrecken forciert. Es dauerte aber bis 1844 als mit dem Bau der ersten Trasse begonnen wurde. Sie führte von Bad Cannstatt nach Untertürkheim.

Am 5. Oktober 1845 rollte das erste Dampfross probeweise das Neckartal entlang. Sinnigerweise wurde die Lokomotive „Neckar“ getauft. Die Eisenbahnwagen stammten noch aus Amerika. Am 22. Oktober nahm die Eisenbahngesellschaft dann den regelmäßigen Fahrplanbetrieb auf. Trotz Vorbehalte bei einigen Anwohnern fuhren in den ersten fünf Tagen 8769 Fahrgäste mit. Die Eisenbahn wurde zum wichtigen Transport- und Verkehrsmittel. Die Anbindung an Stuttgart erfolgte knapp ein Jahr später durch den Bau des Rosensteintunnels. Die Folge: Stück um Stück stößt die Eisenbahn über die Schwäbische Alb bis an den Bodensee vor. Untertürkheim wird zum attraktiven Ausflugsziel, viele Arbeiter nutzten das neue Verkehrsmittel. Das erste Bahnhofsgebäude war einstöckig und stand ein paar Meter neckaraufwärts, wie Gemälde zeigen.

Um den Hauptbahnhof vor allem vom Güterverkehr zu entlasten, entschloss sich das Land 1890 eine Umgehungsstrecke von Kornwestheim nach Untertürkheim zu bauen. „Um für die umfangreichen Anlagen Raum zu gewinnen, war es notwendig ein neues Verwaltungsgebäude samt Wartehalle zu erstellen“, heißt es im alten Heimatbuch. Der Güter- und Rangierbahnhof schloss sich damals an den Personenbahnhof an.

Schmuckes Denkmal

Der Personenbahnhof bestand aus dem heute noch vorhandenen Empfangs- und Verwaltungsgebäude mit seinen zwei Flügelbauten und einer Mittelhalle. Im südlichen Flügelbau befand sich bis 1960 das Post- und Telegrafenamt. Im nördlichen war die Paket- und Expressgutannahme. Für die Bahnbediensteten kam ein Wohngebäude hinzu. Die differenzierte Fassadengliederung, das reiche Dekor und die Jahreszahl 1896 zeugen heute noch von der einstigen Schönheit des Gebäudes.

Auch die Zugstrecke selbst wurde 1896 auf 2200 Meter Länge Richtung Neckar verrückt. Nach der feierlichen Einweihung mit Probefahrt in Anwesenheit des Konigs nahm die Bahn am 1. Oktober den Betrieb auf. „Die nächste Veränderung erfolgte mit der Neckarumlegung. Bis 1924 floss er noch neben der Bahnlinie, wurde dann in sein heutiges Flussbett jenseits des Lindenschulviertels umgeleitet. Die Züge fahren seitdem auf einem Damm in Richtung Obertürkheim“, erklärt Ortschronist Eberhard Hahn. Er kann sich noch gut an die Tage erinnern, in dem man noch Fahrkarten in der Schalterhalle des „Neuen Personenbahnhofs“ kaufen konnte. „Mitte der Neunziger Jahre wurde der Bahnhof dann an einen Architekten verkauft. Er ließ ihn restaurieren. Das Denkmalamt machte ihm Auflagen“, erinnert sich Hahn. Professor Hans K. Schlegel und der Ortschronist untersuchten die historische Substanz, kratzten Farbschichten ab und gaben dem damaligen Besitzer Empfehlungen. Er hielt sich daran. „Der Bahnhof wurde toll restauriert, Holzfenster und Türen extra angefertigt. Schade, dass die Bausünden der späteren Eigentümer nicht verfolgt wurden“, ärgert sich der Ortschronist über die Verschandelung des denkmalgeschützten Schmuckstücks.