In Stuttgart gibt es 70 öffentliche Toiletten, darunter 27 Säulenanlagen, die von Senioren jedoch nur ungern aufgesucht werden. Foto: Fürstenberger Quelle: Unbekannt

Von Mathias Kuhn

Wer kennt nicht das Problem? Man sollte beim Stadtbummel dringend auf ein Örtchen und findet keines. Öffentliche Toiletten sind rar. Deswegen fordert der Stadtseniorenrat die Stadtverwaltung auf, das Konzept „nette Toilette“ umzusetzen. Gastronomen und Händler sollen ihre WCs kostenlos zur Verfügung stellen und erhalten dafür eine Aufwandsentschädigung. In mehr als 200 Städten wird das Konzept bereits erfolgreich umgesetzt.

„Wo bitte ist die nächste Toilette?“ Immer wieder wird einer Anwohnerin im Ortskern die Frage gestellt. Sie verweist die Passanten auf das Toilettenhaus am Bahnhof. „Eine einladende Adresse ist dies nicht“, sagt SPD-Stadträtin Marita Gröger. Trotz täglicher Reinigung ist das Örtchen oft verdreckt. Auch in den anderen Stadtbezirken sind öffentliche Toiletten Mangelware. Zu den Öffnungszeiten sind die Bezirksrathäuser Zufluchtsorte, in Wangen gibt es eine Toilette in der modernisierten Kelter, am Hedelfinger Platz und an der Busendhaltestelle in Uhlbach steht eine Säule - doch das WC-Netz ist dünn und vor allem für Fremde unbekannt. Insgesamt verfügt die Landeshauptstadt über 70 öffentliche Toiletten, davon 27 Säulen-/Automatikanlagen. „In der Innenstadt ist die Situation durch die Museen, öffentliche Ämter und Kaufhäuser einigermaßen befriedigend“, sagt Renate Krausnick-Horst, die Vorsitzende des Stadtseniorenrats. „In einigen Stadtbezirken gibt es dagegen keine öffentliche, jederzeit zugängliche Toilette.“ Zumal viele ältere Menschen die durch Werbung finanzierten Säulenanlagen meiden. „Sie fühlen sich eingeschlossen und hilflos, fürchten, dass der Mechanismus versagt, oder sie kommen oft mit dem Mechanismus nicht zurecht“, bittet Krausnick-Horst um Verständnis. Nicht nur ältere Menschen könnten aus gesundheitlichen Gründen in die Situation kommen, dass sie häufig und rasch eine Toilette aufsuchen müssen. Dies gelte auch für Schwangere. Deswegen müsse die Stadt handeln und entsprechende Möglichkeiten schaffen.

Der Stadtseniorenrat sowie zeitgleich die SPD- und SÖS-Fraktionen im Gemeinderat schlagen deswegen das System „nette Toilette“ als Lösung vor. Das Konzept wurde vor 15 Jahren in Aalen ins Leben gerufen. Gaststätten, Fachgeschäfte und andere Einrichtungen erklären sich dabei bereit, ihre Toiletten kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Ein Aufkleber macht darauf aufmerksam, dass der entsprechende Betrieb teilnimmt. Dafür erhalten sie, je nach Nutzung, einen monatlichen Zuschuss von der Kommune. „Zwischen 40 und 100 Euro im Monat“, sagt SPD-Stadträtin Gröger. Mittlerweile hat das Aalener Modell Schule gemacht. Mehr als 200 Städte und Gemeinden in Deutschland, Frankreich und der Schweiz - etwa Lübeck, Esslingen und Bremen - haben es erfolgreich übernommen.

Die Kooperation ist ein Gewinn für alle: Die Stadt spart Kosten für die Anschaffung, Unterhaltung und Reinigung der Toilettenanlage. „Die Abfallwirtschaft Stuttgart wendet 1,75 Millionen Euro für die Unterhaltung der 70 öffentlichen Toiletten auf“, sagt AWS-Sprecherin Annette Hasselwander. Die Gastronomen erhalten einen Obolus und Passanten haben mehr Anlaufpunkte - teilweise sogar behindertengerechte Toiletten. „Die Stadt Düsseldorf, die mit Stuttgart vergleichbar ist, hat zunächst die ‚nette Toilette‘ in den Außenbezirken eingeführt und wird sie nun über den Innenstadtbereich ausweiten“, berichtet Gröger. In ihrem Antrag schlagen die SPD- und SÖS-Fraktionen vor, dass die Wirtschaftsförderung mit den Bezirksvorstehern in drei Stadtbezirken prüft, ob die Bereitschaft der dortigen Geschäftsleute bestünde. Dann könnte ein Konzept erarbeitet werden. Rückenwind erhält der Antrag durch den Stadtseniorenrat. „Niemand von uns Älteren spricht gerne über das Problem der Blasenschwäche. Umso mehr sollte hier geholfen werden“, bittet Krausnick-Horst um Unterstützung für ein drängendes Problem vieler Stuttgarter und deren Gäste.