Fast ein Relikt aus einem anderen Jahrhundert: das gelbe Fernsprechhäuschen auf dem Bahnsteig der S-Bahn-Station Obertürkheim. Fotos: Kuhn Quelle: Unbekannt

Von Mathias Kuhn

Obertürkheims Bezirksbeiräte verstehen zwar die Motivation der Telekom, hängen aber an einem Stück gewohnte Technologie: Die Telekom will die letzten Telefonzellen im Stadtbezirk abbauen. Ihre Unterhaltung kosten oft mehr, als sie Umsatz erzielen. Der Mobilfunk hat die Telefonhäuschen verdrängt. Obertürkheims Politiker kämpfen aber dafür, dass zumindest der Uhlbacher Platz und der Obertürkheimer Bahnhof als Standorte erhalten bleiben.

Als Bezirksvorsteher Peter Beier den Vorschlag des einstigen Bundesunternehmens vorlas, dass es weitere drei der letzten verbliebenen Telefonzellen abbauen will, mussten die Lokalpolitiker sich erst überlegen, wo überhaupt noch eine öffentliche Fernsprechanlage im Stadtbezirk steht oder hängt. „Jene in der Augsburger Straße 595 wenige Meter unterhalb des Rathauses kennen wirklich nur wenige. Sie liegt fast versteckt“, erklärte Beier. Da wunderte es die Bezirksbeiräte auch nicht, dass dort weniger als 50 Euro pro Monat umgesetzt werden. Dieses Limit ist nämlich ein Richtwert, der für den Erhalt des Standorts eine Rolle spielt. Auf der Streichliste der Telekom mit einem zu geringen Umsatz steht auch die Telefonzelle am ehemaligen Postamt in der Augsburger Straße und am Uhlbacher Platz. Ginge es nach der Telekom, bliebe nur die Telefonmöglichkeit am Obertürkheimer S-Bahnhof. Sie scheint sich als Einzige zu rentieren. Denn auch wenn die Fernsprechgelegenheit nur noch selten genutzt wird, kostet sie einigen Unterhalt. Strom, Standmiete, Reinigung und Reparaturen der oftmals von Rowdys zerstörten Zellen oder Häuschen verschlingen oft mehr Geld, als sie einbringen. Wie auch?

Im Zeitalter des ständig rufbereiten Smartphones und des Internets ist die Verbindung in die Welt überall und wie selbstverständlich möglich. Das Smartphone ist der ständige Begleiter. Statistisch geschehen, hat jeder Deutsche mindestens ein Handy. Der Ausbau des Mobilfunknetzes und der Dienstleistungen deswegen gehen Hand in Hand mit dem Abbau der öffentlichen Fernsprecher. Das Telefonhäuschen ist für jüngere Generationen ein Relikt einer anderen Telekommunikationsepoche. Das gute, alte, gelbe Telefonhäuschen, erst recht eines mit Münzfernsprechfunktion, gehört fast zu den Ausstellungsstücken im Technikmuseum. Sie haben ausgedient oder eine andere Funktion übernommen.

In der Widdersteinstraße wurde ein Telefonhäuschen in eine Bücherzelle umfunktioniert. Noch knapp 30 000 Telefonhäuschen der Telekom und einiger alternativer Anbieter haben überlebt - die meisten an Flughäfen oder Bahnhöfen. Natürlich verbindet jeder auch eine oder mehrere Geschichten mit den engen Zellen, in der man dennoch zu sechst hineinpasste, wenn man jemand per Telefon einen Scherz spielen wollte. Sie diente als verstecktes Örtchen für einen nicht ganz so öffentlichen Kuss, ein geheimes, dafür umso längeres Telefonat mit den Liebsten und es war im Urlaub oder während der Wehrzeit der einzige Draht von der Ferne mit der Heimat. Es half in Notfällen Hilfe zu holen oder die Polizei zu alarmieren. Tausend Erinnerungen.

Trotz dieser Nostalgie gibt es, das verstanden auch die Bezirksbeiräte, Grenzen der Wirtschaftlichkeit. „Wenn diese erreicht sind, gehen wir auf die Gemeinde zu und besprechen, ob sie entfernt werden soll“, sagt Katja Werz von der Telekom. Bei der Telefonzelle am Uhlbacher Platz hörte allerdings das Verständnis der Bezirksbeiräte auf. „Es ist die letzte öffentliche Fernsprechmöglichkeit im Stadtteil“, meinte Peter Aichinger (Freie Wähler). „Durch das Weinbaumuseum und Veranstaltungen kommen viele Touristen hier her. Ihnen müssen wir die Chance erhalten, anrufen zu können“, so Sigrid Zaiß (CDU). Schließlich diene die Telefonzelle auch als Notruf. Außer der Telefonzelle in Uhlbach soll zudem auch der Fernsprecher am Obertürkheimer Bahnhof erhalten bleiben.

Geschichte der Telefonzelle:

Die allererste Telefonzelle wurde 1881 als „Fernsprechkiosk“ im Berliner Postamt aufgestellt. 1899 kam der Münzfernsprecher - eine Zelle für geschlossene Räume auf. Erstmals konnten Menschen telefonieren, die sich keinen eigenen Festnetzanschluss leisten konnten. Ab den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts gehörten sie zu jeder Stadt. 1927 wurde die Bezeichnung „Fernsprechhäuschen“ amtlich festgelegt. Den typisch gelben, weit hin sichtbaren Anstrich der Post und Telekommunikation erhielten sie erst ab den Fünfzigerjahren. In den Siebzigern wurde öffentliches Telefonieren beliebt. „Nimm Rücksicht auf Wartende, fasse dich kurz“ war eine Bitte, da sich Ortsgespräche dank eines Festpreises unendlich ausdehnen ließen. In den neunziger Jahren wechselten viele Fernsprechstationen von Gelb auf Telekom-Magenta-Grau. Moderne Telefonzellen und -stelen sind heute meist mehr als „nur“ Fernsprecheinrichtungen. Sie sind oft WLAN-Hotspots.