In dem Buch über außergewöhnliche Geschwisterliebe von Conny Wenk berichtet Sina Krebs ihre innige und manchmal auch nervige Verbindung zu ihrem großen Bruder Tim, der Down-Syndrom hat. Foto: Kuhn Quelle: Unbekannt

Von Mathias Kuhn

In Deutschland leben zwischen 30 000 und 50 000 Menschen mit Down-Syndrom. Einer von ihnen ist der 18-jährige Tim Krebs. In einem Buch hat die Fotografin Conny Wenk dieses Mal den Fokus auf die Geschwister der Down-Syndrom-Kinder gerichtet. Tims jüngere Schwester Sina berichtet offen und liebevoll über die außergewöhnliche Geschwisterliebe - die innige, aber manchmal auch nervige Beziehung zu ihrem großen Bruder.

Es ist gar nicht so einfach einen gemeinsamen Termin mit Tim und Sina zu vereinbaren. Wie viele Teenager haben die beiden einen vollen Terminkalender. Normaler Geschwisteralltag eben - auf den ersten Blick. Doch Tim trainiert gerade für die Qualifikation zu den Special Olympics. „Er konnte sich zwischen der Teilnahme als Leichtathlet oder als Schwimmer entscheiden“, sagt seine Mutter Maren Krebs. Sie ist die Vorsitzende des Vereins „46Plus Down-Syndrom“.

Der Name weist auf die 46 Chromosomen im menschlichen Erbgut plus dem zusätzlichen, dritten Chromosom 21 hin, das Menschen mit dem Down-Syndrom erhalten haben. Der Genomdefekt prägt deren Leben, aber auch das seiner Eltern und Geschwister. Nachdem die Fotografin Conny Wenk in ihren Büchern bereits die Mütter und Väter ins Bild gerückt und zu Wort kommen lassen hat, richtet sie in ihrem jüngsten Buch den Fokus auf die Geschwister. Sie erleben, dass ihre Brüder und Schwestern mit Behinderungen besonders viel Aufmerksamkeit erhalten, weil die Therapien und Förderungen mehr Zeiteinsatz bedeuten. „Von daher ist es verständlich, wenn manchmal von Schattenkindern die Rede ist“, heißt es im Vorwort des Buches.

21 Geschwister - junge und erwachsene - kommen in Wenks Buch zu Wort. Auch die fast 13-jährige Sina. Offen und ehrlich beschreibt sie ihr Verhältnis zu Tim - bewegend. „Natürlich habe ich Tim sehr lieb, ganz sicher nicht weniger als andere ihre Geschwister lieb haben, die nicht behindert sind. Trotzdem schäme ich mich auch manchmal für ihn“, gesteht sie. Der 13-Jährigen ist es peinlich, wenn der Bruder wie ein Pferd draußen herumhüpft. Dann wünscht sie sich, er solle sich wie ein großer, 18-jähriger Bruder benehmen.

Aber eigentlich, merkt sie, schämt sie sich nicht für ihren Bruder. „Wenn ich es mit so überlege, fände ich seine Macken vielleicht gar nicht so schlimm, wenn nur nicht immer alle gucken würden. Denn eigentlich liebe ich ihn ja so, wie er ist. Schließlich ist Tim mein einziger Bruder.“ Er könne ansteckend lachen und sie auch super trösten. Sina weiß, dass er sie bedingungslos liebt. Aber natürlich stört der Bruder - aber das ist bei fast allen Geschwistern so - manchmal auch. „So nervt es mich gewaltig, wenn er wieder mal alle Zeit der Welt hat und nur rumtrödelt, obwohl wir es eilig haben“, gesteht Sina. Dann könne sie auch unwirsch werden und ihn anschnauzen. Danach fühle sie sich auch ab und zu schlecht, wenn sie wegen Tim unzufrieden sei. „Ich meine: Wer wünscht sich nicht den perfekten Bruder? Aber andererseits: Haben meine Freundinnen den perfekten Bruder - ohne Behinderung? In ihren Augen wahrscheinlich nicht“, schreibt sie.

Stolz auf großen Bruder

Die 13-Jährige weiß, wie sie ihrem Bruder rumkriegt. Als Tim beim Fototermin zuerst keinen „Bock“ aufs Interview hat, überredet sie ihn mit Engelszungen und lockt beim Fotoshooting auch ein Lächeln aufs Gesicht des VfB-Fans. Er selbst bereitet sich gerade auf die Schwimm-Qualifikation für die Special Olympics in Offenburg vor. Zudem ist er württembergischer Hallenmeister im Weitsprung und Vize im Kugelstoßen und im Sprint. Sina ist durchaus stolz und Tim begeistert sich im Gegenzug für Sinas Lieblingssport: Basketball. Kein Wunder kann sich Sina „überhaupt nicht vorstellen, wie es wäre, wenn Tim anders wäre. Tim ist und bleibt Tim, mein großer Bruder! Mein ganzes Leben lang!“

Das Buch „Außergewöhnlich: Geschwisterliebe“ von Conny Wenk ist im Neufeld Verlag erschienen. ISBN 978-3-86256-0806. Bestell-Nummer 590 080.