Immer wieder kommt es zwischen Ärzten und Angehörigen zu Konflikten über die Rechnung. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Alexander Müller

Mit dem Tod eines Menschen erlischt in Deutschland die gesetzliche Krankenversicherung. Für den Totenschein müssen die Angehörigen selbst aufkommen. Dafür gelten laut der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) festgeschriebene Beträge, aber oftmals rechnen Mediziner dabei ganz andere Summen ab. „Es ist eine richtige Abzocke“, sagt Sandra Schmidt aus Obertürkheim aus Erfahrung. Leider kein Einzelfall.

Im Sommer vergangenen Jahres starb die Schwiegermutter von Schmidt in einem Stuttgarter Pflegeheim. Wie es üblich ist, wurde von der Heimleitung ein Arzt gerufen, um den Tod festzustellen. Um 2.40 Uhr waren weder sie noch ihr Ehemann anwesend. „Manchmal ist der Arzt dabei nur wenige Minuten vor Ort“, weiß Schmidt. Denn seit dem Tod des Schwiegervaters beschäftigt sie das Thema. „Schon damals haben wir uns abgezockt gefühlt“, sagt Schmidt. Daher habe sie darauf bestanden, dass sie die Arztrechnung persönlich zugeschickt bekommt, anstatt wie meist üblich direkt an das Bestattungsunternehmen. Aus Recherchen weiß sie, dass dabei oft zu hohe Gebühren verlangt werden. „Aber ich war überzeugt davon, das passiert mir nicht.“

Dann der Schreck: Die Rechnung belief sich auf 149 Euro. Vor allem der Kostenpunkt, dass ein Beratungsgespräch und eine Untersuchung der Toten noch abgerechnet wurde, stieß bei Schmidt bitter auf. „Es ist schon ziemlich makaber. Wenn es nicht so ein trauriger Anlass gewesen wäre, hätte ich fast lachen müssen.“ Hinzu kamen ein Nachtzuschlag (26,23 Euro) und eine Fremdanamnese (29,49). Bei ihren Recherchen fand sie zahllose weitere Berichte von ähnlichen Fällen. „Dass auf Kosten der Trauernden noch Kasse gemacht wird, ist eine Frechheit“, ist Schmidt sauer. Denn ein Einzelfall sei dies keiner. Letztendlich überwies sie lediglich 48,86 Euro für die laut amtlicher GOÄ vorgeschriebene Leichenschau (33,52) und das nächtliche Wegegeld (15,34). Das habe der Mediziner dann auch ohne Anstalten akzeptiert.

„Ich überweise die Gelder immer zurück, gehe nicht auf Konfrontationskurs mit den Angehörigen“, sagt der Arzt. Inzwischen hat er nach mehr als 18 Jahren die Aufgabe der Leichenschau aber aufgegeben. Für den derzeit vorgeschriebenen Satz lohne sich dies nicht mehr, gibt er zu. In der Regel bis zu maximal 80 Euro können die Ärzte abrechnen - und dafür „müssen wir mitten in der Nacht aufstehen“. Aus seiner Sicht wären, wenn der Hausbesuch mit Beratung abgerechnet werden dürfte, circa 150 bis 160 Euro angemessen. Allerdings hätten Kollegen auch schon bis 200 oder 300 Euro verlangt, „das ist dann aber doch eindeutig zu viel“, sagt selbst der Facharzt. Durch die fehlende Transparenz komme es immer wieder zu Konfliktpunkten mit Angehörigen, deshalb verzichten viele Ärzte auf die Leichenschau.

Den Grund für die unzufriedenstellende Situation sieht Oliver Erens, der Pressesprecher der Landesärztekammer Baden-Württemberg, darin, dass das Gebührenverzeichnis für die Abrechnung privatärztlicher Leistungen, zu denen auch die Leichenschau gehört, seit 1996 nicht mehr aktualisiert wurde. „Die inzwischen üblichen Leistungen werden daher nicht mehr adäquat abgebildet. Das ist für die Ärzte eine sehr unbefriedigende Situation“, hofft Erens auf die seit Jahren angedachte Novellierung. Grundsätzlich werde immer wieder die Frage der Abrechnung des Hausbesuchs diskutiert. Dieser darf laut Gebührenordnung nur angewendet werden, wenn die Person noch am Leben sei. Über diese Abrechnungen entbrenne tatsächlich immer wieder ein Streit zwischen Ärzten und Angehörigen. Die Gutachterstelle der Landesärztekammer bekomme immer wieder Beschwerden über Leichenschaurechnungen. Genaue Zahlen gibt es keine, vermutlich ist die Dunkelziffer aber groß. „Für viele Menschen ist die Hürde hoch, sich an die Ärztekammer zu wenden, da es sich um einen sehr intimen Privatbereich handelt“, weiß Erens.

Dabei ist die Handhabe für Ärzte relativ leicht, da die Rechnung zumeist direkt an das Bestattungsunternehmen geht. Stuttgart hat daher vor vielen Jahren reagiert: „Wir halten uns aus diesem Verfahren heraus, die Arztrechnungen gehen bei uns an die Angehörigen“, sagt Harald Aust vom städtischen Bestattungsdienst des Garten-, Friedhofs- und Forstamtes. Anders sieht es bei den privaten Bestattungsunternehmen aus. Allerdings hätten diese keine Handhabe bei überhöhten Rechnungen, heißt es von Seiten der Landesinnung des Bestattungsgewerbes Baden-Württemberg. „Im Regelfall wird das Unternehmen nicht den Arzt ankreiden“, ist Schmidt sicher, „schließlich wollen sie in Zukunft weiter bedacht werden“.

Gebührenordnung für Ärzte

Seit 1965 regelt die amtliche Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) die Abrechnung der ärztlichen Leistungen außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung in Deutschland. Zuletzt geändert wurde diese im Jahr 1996. Sie regelt unter anderem auch unter der Ziffer 100 die gesetzliche Leichenschau. Die Kosten dafür betragen je nach anrechnungsfähigem Satz einmalig 14,57 Euro (1,0-facher Satz), 26,23 Euro (1,8), 33,51 Euro (2,3) oder 51 Euro (3,5). Die Ziffer 50 für die Besuchsgebühr mit Beratungsleistungen und symptombezogene Untersuchungen darf nicht abgerechnet werden. Hinzu kommt laut Paragraph 8 der GOÄ das Wegegeld das nach Entfernung und Tageszeit bemessen wird. Dieses reicht von 3,58 Euro am Tag zwischen 8 und 20 Uhr bei bis zu zwei Kilometern bis zu maximal 25,56 Euro in der Nacht bei bis zu 15 Kilometer Anfahrt. Die Rechnungen verjähren nicht, da diese im guten Glauben bezahlt wurden. Offizielle Anfragen per E-Mail an die Gutachterstelle der Ärztekammer Baden-Württemberg sind im Internet unter www.aerztekammer-bw.de möglich.