Von Hermann Neu

Stuttgart - Das Spannendste kommt wie üblich zuletzt: Grüne und CDU sind sich über die inhaltlichen Grundsätze ihrer künftigen Koalition weithin einig. Fehlt nur noch, wer neben Ministerpräsident Winfried Kretschmann von den Grünen der Politik im Alltag Gesicht verleihen wird - sprich wer als Minister oder Staatssekretär in den kommenden fünf Jahren die Konzepte umsetzen soll. Ungeschriebenes, aber dafür in der Regel eisenhart exekutiertes Gesetz: Wer in der gegenwärtigen Situation den Kopf aus der Versenkung hebt, um sich selbst für einen Posten in der neuen Regierung in Position zu bringen, der wird in der Regel um exakt diesen Kopf kürzer gemacht.

In vergleichsweise komfortabler Lage befinden sich bei der Regierungsbildung die Grünen. Seit dem spektakulären Wechsel vor fünf Jahren und dem Verdrängen der CDU von der Macht nach 58 Jahren haben sie Regierungsverantwortung bewiesen und Erfahrung gesammelt. Keines der bisherigen Kabinettsmitglieder gilt als Schwachposten, den man zu geeigneter Zeit - also jetzt bei der Bildung der neuen Regierung - unbedingt entsorgen müsste.

Das gilt für die mehrfach als bundesweit angesehenste Wissenschaftsministerin geehrte Theresia Bauer ebenso wie für den Umweltexperten Franz Untersteller. Verkehrsminister Winfried Hermann ist als Repräsentant der Linken bei den Grünen und als ausgewiesener Experte in seinem Fach schon zu Bundestagszeiten gesetzt. Ebenso Agrarminister Alexander Bonde, auch wenn diesem gerade eine hässliche Affäre um sein Privatleben andere Schlagzeilen aufzwingt.

Wer sich aber schlussendlich auf welchem Posten wiederfindet, ist noch nicht geklärt: So ist beispielsweise nach dem angekündigten Rückzug der Ministerin im Staatsministerium, der Grünen Silke Krebs, eine zentrale Koordinierungsaufgabe freigeworden, die einen Profi erfordert. Möglicherweise aus der bisherigen Regierungsmannschaft.

Mehrere Schlüsselressorts frei

Nach dem Ausscheiden der SPD werden gleich mehrere Schlüsselstellen der Macht frei: Der Landeschef der CDU, Thomas Strobl, wird als neuer starker Mann seiner Partei aus dem Bundestag in das durch zusätzliche Aufgaben wie etwa den Integrationsbereich aufgepeppte Innenministerium wechseln. Zugleich soll er neuer Vize-Regierungschef werden.

Das bisherige Wirtschafts- und Finanzressort von SPD-Landeschef Nils Schmid wird wieder aufgeteilt. Das 2011 formierte Superministerium sollte Schmid auf Augenhöhe mit Kretschmann bringen. Ohne Erfolg, wie man seit der Schlappe der SPD am 13. März weiß.

Aus der Manövriermasse nach dem Freiwerden diverser bisher SPD-geführter Ministerien ist indes nicht jedes Ressort gleichermaßen attraktiv. Wer den Posten des Finanzministers übernimmt, dem fliegen nicht gerade die Sympathien zu. Der Blick richtet sich auf die Schuldenbremse 2020 sowie auf absehbare Probleme, wenn die im Wahlkampf verkündeten Projekte unbezahlbar sind und stattdessen Kürzungen anstehen. Der Kassenwart bleibt auch in der neuen Wahlperiode der Spielverderber.

Auch das Kultusressort ist traditionell so ein Fall: Eltern und Lehrer sind kritisch. Nach den zahlreichen gelungenen oder weniger erfolgreichen Reformen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte ist die Veränderungsbereitschaft nur noch gering ausgeprägt. Wenn dann auch noch eine Grippeepidemie die Reihen der Pädagogen lichtet, sind die nächsten schlechten Schlagzeile programmiert. Immerhin wurde durch den Konsens von Grünen und CDU nach dem teils üblen Streit im Wahlkampf eine Art Schulfriede erreicht. Mögliche Ministerin auf Grünen-Seite hier: Die Lahrer Bildungsexpertin Sandra Boser.

In unerquicklicher Lage befindet sich die CDU beim Personal: Schon immer war es schwer, all die regionalen Befindlichkeiten der vier Bezirksverbände auszutarieren. Noch mehr Sprengkraft entfaltet aber, was der aktuelle Fraktionschef Guido Wolf nach seinem Sieg gegen Strobl im Zweikampf um die Spitzenkandidatur als Losung ausgab: Mehrfach betonte er, die Hälfte der Posten müssten Frauen bekommen. Nun nimmt ihn nicht nur die Frauen Union beim Wort und pocht auf mehr Einfluss. Eine wahre Phalanx geeigneter Frauen stünde bereit, wollte die CDU Wolfs Ankündigung umsetzen: Die Stuttgarter Bürgermeisterin für Kultur, Schule und Sport etwa, Susanne Eisenmann, gäbe für die CDU sicher eine respektable Kultusministerin ab. Sie stünde zudem für den reformfreudigen Flügel der Partei.

Im Finanzressort wiederum wäre die einstige Landtagsabgeordnete und momentane Kanzlerin der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Gisela Meister-Scheufelen, bereits eingelernt. Bis zum Regierungswechsel 2011 hat sie als Amtschefin im damals von Willi Stächele geleiteten Ministerium den Laden geschmissen. Eine ganze Reihe weiterer ministrabler Frauen kommt hinzu: Die Europaabgeordnete und Vize-Landeschefin der Frauen Union, Inge Gräßle, die Geislinger Verkehrspolitikerin Nicole Razavi oder Ex-Agrarstaatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch aus dem Wahlkreis Eppingen.

Für jeden CDU-Posten eine Frau

Käme sie nicht zum Zug, könnte für Gurr-Hirsch wenigstens der Posten der Landtagsvizepräsidentin abfallen. Nach Wolfs Wechsel an die Fraktionsspitze war Gurr-Hirsch als seine Nachfolgerin an der Spitze des Parlaments allen Appellen zur Frauenförderung zum Trotz an Wilfried Klenk gescheitert. Die CDU hätte jedenfalls kein Problem, für jeden ihr möglicherweise in der Regierung zufallenden Posten eine Frau zu finden.

Interesse wird der Union auch am Wirtschaftsressort zugeschrieben, zu gemeinsamen Regierungszeiten mit der FDP einer Domäne der Liberalen. Über die Jahre hinweg wurden von diesem Ressort allerdings Kompetenzen abgezweigt. Es verfügt etwa gegenüber den 1990er-Jahren, als noch der Wohnungsbau dazugehörte, nur über einen dürftigen Etat.

Klar ist, dass der jeweilige Koalitionspartner der Gegenseite beim Personal nicht reinreden kann - etwa die CDU beim ungeliebten Verkehrsminister Hermann. Dass dies nicht so einfach durchzuhalten ist, kennt die CDU aus ihrer Geschichte. Als Ministerpräsident Erwin Teufel 1992 nach dem Einzug der rechtsradikalen Republikaner in den Landtag eine Große Koalition bilden musste, ging mancher Sozialdemokrat den CDU-Konservativen gewaltig gegen den Strich. Dass nach Jahren absoluter Mehrheiten auch noch die Macht geteilt werden musste, führte auf dem Parteitag, der das Bündnis absegnen sollte, zum Aufstand. Dietmar Schlee, bis dato Innenminister und mächtiger südwürttembergischer Bezirkschef, musste seinen Posten an Frieder Birzele (SPD) abtreten und bot Teufel die Stirn. Gerettet hat Teufel damals der Stuttgarter OB Manfred Rommel. „Manche von ons gfallet der SPD au net“, besänftigte er die Delegierten. Die Luft war raus, die Rebellion zusammengebrochen. So weit wird es auf den Parteitagen der künftigen Koalitionäre am nächsten Wochenende garantiert nicht kommen. Die CDU ist froh, dass sie wieder mitregieren kann.