Quelle: Unbekannt

Von Christian Böhmer und Sebastian Kunigkeit

Paris/Bad Krozingen - Am Ende musste es ganz schnell gehen. In aller Stille veröffentlichte die französische Regierung gestern das offizielle Aus für den umstrittenen Atomreaktor Fessenheim nahe der deutschen Grenze. Präsident François Hollande wird schon im kommenden Monat aus dem Amt scheiden - und die Schließung der Atomanlage war ein Wahlversprechen.

Wie begründet die Regierung das Aus?

Energie- und Umweltministerin Ségolène Royal sagt, dass viel investiert werden müsste, um Fessenheim normgerecht zu machen. Die streitbare Sozialistin ist der Auffassung, dass der Stromgigant EDF besser in erneuerbare Energien wie Sonnen- und Windkraft Geld stecken sollte. Es gingen auch keine Jobs verloren, denn es werde eine „große Industrie-Baustelle“ geben, um Fessenheim abzureißen.

Warum wollen Kritiker die Abschaltung?

Fessenheim ist das älteste französische Atomkraftwerk, das noch im Betrieb ist. Es ging 1977 ans Netz. Umweltschützer warnen schon lange vor Pannen. Die deutsche Bundesregierung fordert die Abschaltung. Einwände sind offensichtlich nicht ganz unbegründet: Ein Reaktor ist bereits seit vergangenem Jahr vom Netz, weil Materialfehler an einem Dampferzeuger überprüft werden.

Ist die Schließung nun sicher?

Diese Frage ist nach der Veröffentlichung des Regierungsdekrets nicht klar zu beantworten. Deutlich ist, dass es einen Rechtsstreit geben wird. Fessenheims Bürgermeister Claude Brender kündigte im Regionalsender „France Bleu Alsace“ umgehend Beschwerde beim Staatsrat an, der in Frankreich oberster Verwaltungsrichter ist. Nach Medieninformationen könnten sich auch Gewerkschaften wehren, die gegen die Schließung sind.

Ist der Deal zwischen dem französischen Staat und dem Stromgiganten EDF noch gültig?

Bedingungen von EDF werden in dem Dekret aufgenommen. Die Reaktoren am Rhein sollen abgeschaltet werden, wenn ein neuer Meiler in Flamanville am Ärmelkanal ans Netz geht.

Wann könnte Fessenheim nach aktuellem Stand vom Netz gehen?

Ségolène Royal verspricht die Abschaltung 2018. Der Europäische Druckwasserreaktor (EPR) in Flamanville soll Ende kommenden Jahres endlich fertig sein - das Projekt hatte immer wieder mit Verzögerungen und Kostensteigerungen für Schlagzeilen gesorgt. Allerdings steht hinter dem Projekt noch ein großes Fragezeichen: Die Atomaufsicht prüft Materialprobleme am Reaktorbehälter. Solange sie keine Zustimmung gibt, kann es nicht losgehen. Frühestens sechs Monate vor Inbetriebnahme des EPR will EDF den Aufhebungsantrag für Fessenheim stellen.

Warum wurde die Schließung überhaupt an den neuen Reaktor gekoppelt?

Frankreich hatte mit seinem Energiewende-Gesetz eine Obergrenze für Atomstrom gesetzt: Maximal 63,2 Gigawatt Leistung dürfen alle Meiler zusammen haben. Das bedeutet: Wenn der EPR mit seinen 1650 Megawatt ans Netz geht, muss anderswo der Stecker gezogen werden. Und EDF will das Limit ausschöpfen. Der Verwaltungsrat hatte in der zurückliegenden Woche betont, dass Fessenheim nur dann abgeschaltet werden soll, wenn dies zur Einhaltung der Obergrenze notwendig ist. Dieser „Deckel“ wird in dem Regierungsdekret genannt.

Was kostet ein Aus für Fessenheim den französischen Staat?

Die Regierung hat sich mit EDF darauf verständigt, das Unternehmen für die Schließungskosten mit rund 490 Millionen Euro zu entschädigen. Hinzu kommt später noch eine variable Entschädigung, die den Verdienstausfall bis 2041 ausgleichen soll. Wie hoch sie ausfällt, hängt von der Entwicklung der Strompreise ab. Von dieser Zahlung könnte dann auch der baden-württembergische Energiekonzern EnBW profitieren, der mit 17,5 Prozent an den Baukosten des Kraftwerks beteiligt war und auch die Betriebskosten mitträgt.

Könnte die Präsidentschaftswahl die Karten neu mischen?

Das befürchtet beispielsweise die deutsche Grünen-Politikerin Sylvia Kotting-Uhl. Der als Favorit gehandelte Sozialliberale Emmanuel Macron ist für die Abschaltung. Doch die Rechtspopulistin Marine Le Pen und der Konservative François Fillon sagen „Non“ (Nein).

Warum steigt Frankreich nicht wie Deutschland aus der Atomkraft aus?

Als Reaktion auf den Ölpreisschock in den 1970er-Jahren setzte Frankreich massiv auf die Atomkraft, um seine Abhängigkeit vom Import fossiler Brennstoffe zu reduzieren. Drei Viertel des französischen Strombedarfs kommt heute aus Atommeilern. Zum Vergleich: In Deutschland sind noch acht Meiler in Betrieb, die Atomkraft steuert nur 13 Prozent zum Strommix bei. Auch Frankreich hat sich aber eine „Energiewende“ verordnet und will den Atomanteil bis 2025 auf 50 Prozent drücken.