Landtag in Stuttgart Foto: dpa - Symbolbild dpa

Von Hermann Neu

Stuttgart - Regiert im Land eine Komplementär-Koalition, die sich gegenseitig ergänzt - oder gibt es nur noch grün-schwarze Chaostage? Kurz vor dem Jahrestag der Landtagswahl am 13. März 2016 mit dem anschließenden Wechsel von Grün-Rot zum bundesweit ersten Grünen-geführten Bündnis mit der CDU gehen die Ansichten im Parlament weit auseinander. Nicht nur der jüngste Streit in der Koalition über die mögliche Jagd auf übereifrige Biber in den Uferauen lieferte dabei der Opposition gestern die geeignete Munition für einen mehr als munteren und teils lautstarken Schlagabtausch.

Der Fraktionschef der vor einem Jahr aus der Regierung gekippten SPD, Andreas Stoch, sieht in der von seiner Fraktion auf die Tagesordnung gesetzten Debatte jedenfalls die grün-schwarze Nachfolgeregierung nicht als leuchtendes Beispiel. Wie „zwei Fraktionen, die sich in herzlicher Abneigung zugetan sind“, kommen Stoch die Regierenden vor. Von der immer wieder beschworenen Komplementä-Koalition nach dem Motto „jeder kümmert sich um seinen Acker“ könne keine Rede sein, wenn die einen in den Acker des anderen fahren. Von gewachsenem Vertrauen der ungleichen Partner sei nach nicht mal einem Jahr „nichts zu spüren“. Erkenntlich wird für Stoch all dies - am Streit um den Biber: Wenn Agrarminister Peter Hauk von der CDU den Nager notfalls jagen lassen wolle und Umwelt-Staatssekretär Andre Baumann (Grüne) das als Stammtischmentalität geißele, dann sei dies wohl ein „Bild tiefsten Vertrauens“ zwischen den Partnern, ätzt Stoch.

„Der Haussegen hängt schief“

Das Papier von Innenminister Thomas Strobl (CDU) zum Thema Asyl führt der SPD-Fraktionschef ebenso als ein Zeichen harter Konflikte an wie den jüngsten Krach in der Koalition um Sammelabschiebungen von Afghanen oder den Zwist, ob die nordafrikanischen Staaten sichere Herkunftsländer sind. „Der Haussegen hängt schief“, analysiert der frühere Kultusminister. Grün-Schwarz solle „kein Theaterstück vorspielen, das kein Happy-End hat“.

Für Rainer Podeswa (AfD) müsste bei der grün-schwarzen Verbindung „die Scheidung erfolgen, das wird nix mehr, da hilft kein Eheberater“. In der Regierungskoalition sieht er einen „ganz normalen Chaos-Ehealltag“. Podeswas Kritik gilt vor allem der CDU, die um jeden Preis wieder an die Macht gestrebt habe und sich als wenig prinzipientreu erweise. So fordere die CDU zwar Abschiebungen etwa von Afghanen, sie werde aber von den Grünen gehindert.

Für FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke ist die Debatte wie handgeschnitzt: Die grün-schwarze Koalition funktioniere so, dass er an der Stelle von Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz „auch zufrieden wäre“, provoziert der Liberale. Bei den schwarzen Ministern entschieden die grünen Minister mit. Innenminister Thomas Strobl von der CDU etwa „setzt die Abzuschiebenden in den Flieger, die Grünen holen sie wieder raus“. Auch Rülke fällt eine ganze Reihe Konflikte in der Koalition ein: Von der Bauordnung bis zum Feinstaub - „wer hätte je gedacht, dass die CDU bei Fahrverboten mitmacht“. Für Rülke, den Meister im Zuspitzen, ist klar: Die CDU habe nichts zu melden, „das ist eine Unterwerfungskoalition“.

Das wollen Grüne und CDU nicht auf sich sitzen lassen: Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) ist krank. So springt der Vize-Ministerpräsident und Innenminister Thomas Strobl in die Bresche. Und landet sofort beim Biber: „Biber nagen an den Bäumen ganz unten“, analysiert der CDU-Chef, „die Debatte hat Biber-Niveau“, lautet sein vernichtendes Urteil.

„Chaostage“ schon zu Teufels Zeiten

Die Koalition sieht Strobl auf gutem Weg. Chaostage habe die SPD auch schon zu den Regierungszeiten des einstigen Ministerpräsidenten Erwin Teufel (CDU) ausgerufen. Überhaupt erkläre die SPD „Arbeit zu Chaos“ und „Diskussionen zu Streit“. Demokratie aber bedeute nicht, „dass sich alle liebhaben“. Es sei sogar die Pflicht, „dass wir immer um den richtigen Weg ringen“. Von zusätzlichen Polizisten bis hin zur fortschreitenden Digitalisierung preist Strobl die Arbeit der Koalition und sieht das Chaos stattdessen bei der SPD.

Vorarbeit hatten da schon die Fraktionschefs von Grünen und CDU, Andreas Schwarz und Wolfgang Reinhart, geleistet. Für Schwarz verstehen sich die Koalitionäre „prächtig“. Es gehe nicht um Chaos, sondern um „gelebte Demokratie“. Zudem täte „gewisse Gelassenheit“ gut. Beim Begriff Chaos denkt Schwarz an den US-Präsidenten Trump, die britische Regierungschefin May und den Brexit oder den türkischen Präsidenten Erdogan. Wenn es in der Koalition hin und wieder unterschiedliche Ansichten gebe, dann sei das „nicht verwunderlich, wir haben ja keinen Fusionsvertrag abgeschlossen“.

Für Reinhart ist Grün-Schwarz die „Koalition der großen und der ungeahnten Möglichkeiten“ - keine Liebesehe zwar, aber eine „solide, belastbare Partnerschaft auf Augenhöhe“. Für eine starke Oppositionspartei sei die Kritik „zu kleinkariert“. Außerdem sei das Ringen um den richtigen Weg bei Union und SPD im Bund „nicht anders“.