Stuttgart (lsw) - Die grün-schwarze Landesregierung muss nach Ansicht des Rechnungshofs deutlich mehr sparen und in guten Zeiten den Haushalt „wetterfest“ machen. Es müssten weitere strukturelle Einsparungen erbracht werden, um das im Finanzplan 2020 trotz steigender Einnahmen erwartete Defizit von 2,8 Milliarden Euro auszugleichen, mahnte Präsident Max Munding gestern in Stuttgart bei der Vorstellung der „Denkschrift 2016“.

2015 betrugen die Kreditschulden des Landes laut Rechnungshof unverändert 46,3 Milliarden Euro. Im Vergleich der Flächenländer liege Baden-Württemberg bei der Pro-Kopf-Verschuldung auf Platz drei. Unterm Strich stand 2015 ein Überschuss von 1,6 Milliarden. Verlässliche Prognosen seien wegen der unklaren Situation bei den Flüchtlingsausgaben schwierig. „Das Land sollte auf strukturelle Mehrausgaben und Stellenzuwächse verzichten, soweit diese nicht durch dauerhafte Einsparungen gegenfinanziert sind.“ Laut Finanzministerin Edith Sitzmann (Grüne) ist sich Grün-Schwarz bewusst, dass man Geld nur strukturell ausgeben könne, „wenn wir es an anderer Stelle einsparen“. Es gelte, Lücken zu schließen, um den Haushalt bis 2020 auszugleichen. „Vor uns liegt ein ambitioniertes Programm, für das wir die Ärmel hochkrempeln müssen.“ Die SPD wertete den Bericht als „positive Schlussbilanz“ für die bislang sozialdemokratisch geführte Etatpolitik. Grün-Schwarz beginne mit Fehlern: „Unnötige Stellenausweitungen im Umfeld des Ministerpräsidenten und von Ministern sowie eine undurchsichtige Planung neuer Ausgaben durch Nebenabreden der sich misstrauenden Koalitionäre lassen Böses für die Zukunft erahnen“, so Finanzexperte Peter Hofelich.

Neben ihrer generellen Kritik an der Etatplanung der Koalition kritisieren die Rechnungsprüfer in ihrer Denkschrift eine Reihe von Einzelausgaben. Die wichtigsten Punkte im Überblick:

Schuldenbremse: Nach Ansicht des Rechnungshofs sollte die Schuldenbremse des Grundgesetzes zeitnah auch in der Landesverfassung verankert werden. Vom Jahr 2020 an dürfen die Länder keine neuen Kredite mehr aufnehmen. Vor Unsicherheiten sei kein Land gefeit, betonte Munding. Er begrüßte die Ankündigung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), die Schuldenbremse in die Verfassung zu schreiben: „Das hat erhebliche politische Wirkung.“ FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke hält das für „dringender denn je“, „damit Grün-Schwarz bei den Ausgaben nicht völlig aus dem Ruder läuft“.

Kultusministerium: Die Rechnungsprüfer nahmen das Kultusressort unter die Lupe und stellten fest, dass dort deutlich mehr Personal beschäftigt ist als im Staatshaushalt ausgewiesen. Das Haus gewinne erhebliche zusätzliche Personalressourcen durch Abordnungen. Während im Haushaltsplan 273 Stellen veranschlagt sind, waren es zur Prüfung 146 Vollzeitstellen mehr. FDP-Frationschef Rülke nannte das einen „Stellenverschiebbahnhof“. Beim Rechnungshof heißt es: „Die Quote der nicht im Staatshaushaltsplan abgebildeten Personalressourcen ist zu verringern.“ In allen Ministerien zusammen ist die Zahl der Stellen laut Munding von 2010 bis 2016 um etwa 250 auf knapp 3300 gestiegen. Die Landesregierung sei im Vergleich mit Personal sicher „hinreichend ausgestattet“, sagte Munding.

Schulmilch: Seit den 1970er-Jahren wird Schulmilch im Südwesten staatlich gefördert, doch laut Rechnungshof ist die Nachfrage viel zu gering. Sinnvolle Förderung von gesunder Ernährung sehe anders aus, das Programm könne eingestellt werden. „Ein Betrag von 64 Cent je Jahr und pro Kind in den teilnehmenden Einrichtungen erzeugt keine sinnvolle Förderung“, hieß es. Das Programm sei längst vom Tisch, hieß es gestern im Agrarministerium. Sowohl die Schulmilch- wie auch die Schulfruchtförderung würden neu aufgestellt. Fest stehe aber: Milch als wichtiges Nahrungsmittel solle an den Schulen erhalten bleiben - auch als Zeichen an die Milch erzeugenden Landwirte im Land.

Dienstwagen: Sparpotenzial sieht man bei der Landesvertretung in Berlin: Fünf Dienstwagen mit geringer Auslastung seien zu viel. Man solle die Zahl am Bedarf ausrichten. Auch die App „LvBW Berlin“ mit Infos zur Landesvertretung sei weder wirtschaftlich noch sparsam. Die Funktionen der App hätten kaum Mehrwert im Verhältnis zur Homepage. Dafür dürfe kein Geld mehr ausgegeben werden.

Freizeitkarten: Beim Landesamt für Geoinformation machte der Rechnungshof Defizite aus: Die Kosten- und Leistungsrechnung müsse zwingend überarbeitet werden, ein Controlling fehle. Über Jahre hinweg seien hohe Rücklagen gebildet worden. Zudem entstehe durch Herstellung und Vertrieb touristischer Karten ein hohes Defizit von jährlich einer Million Euro. Dies solle man Privaten überlassen.

Erdwärme: Vier Millionen Euro steckte das Land seit 2000 in den Bau von 13 geothermischen Anlagen in Landesgebäuden. Kein Projekt sei bislang überprüft worden. Die Anlagen seien unwirtschaftlich, weil Energiekosteneinsparungen von 43 000 Euro je Jahr Mehraufwendungen von 53 000 Euro je Jahr gegenüberstünden. Bevor weitere geothermische Anlagen geplant würden, riet der Rechnungshof, sollten die bestehenden Anlagen evaluiert werden.

Finanzkontrolleure des Landes

Seit der Gründung Baden-Württembergs 1952 kontrolliert der Rechnungshof als unabhängige Behörde die gesamte Haushalts- und Wirtschaftsführung des Landes. „Seine Mitglieder besitzen die gleiche Unabhängigkeit wie die Richter“, heißt es in der Landesverfassung. Der Präsident wird vom Ministerpräsidenten mit Zustimmung des Landtags ernannt. Dieses Amt hat seit 2009 Max Munding inne. Die Behörde überwacht die ordnungsgemäße Verwendung der Steuergelder und berät das Parlament sowie die Regierung. Sie versteht sich als „Anwalt des Steuerzahlers“. Auf Ersuchen der Regierung muss der Rechnungshof zudem als Gutachter fungieren.