In einem Wald bei Bühlertal suchte die Polizei 2006 mit Hunden nach dem kleinen Felix. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Christine Cornelius

Ravensburg - Die meisten Vermisstenfälle klären sich recht schnell auf. Doch einige stellen die Ermittler noch Jahre später vor Rätsel. Einer der tragischsten Fälle ist der des verschwundenen kleinen Felix. Seit zehn Jahren leben die Angehörigen des kleinen Felix aus Oftersheim im Rhein-Neckar-Kreis mit dem mysteriösen Verschwinden des damals Zweijährigen. Auch die Mannheimer Polizei treibt der ungelöste Fall noch immer um. Man könne den Jungen nicht für tot erklären, sagte der Erste Polizeihauptkommissar Norbert Schätzle der dpa in Mannheim. „Wir überprüfen auch heute noch Hinweise, damit wir ihn finden können, wenn er noch am Leben ist.“

Der Vater hatte Felix Anfang Januar 2006 von seiner geschiedenen Frau abgeholt und nicht mehr zurückgebracht. Die Leiche des Mannes wurde Wochen später, am 26. Februar, in Bühlertal im Kreis Rastatt von einem Spaziergänger gefunden. Von dem Kind fehlt bis heute jede Spur.

„Zu Beginn hatten wir natürlich Hoffnung, dass wir beide - Vater und Sohn - finden können“, sagte Schätzle. „In den ersten Tagen gab es sehr viel versprechende Zeugenaussagen.“ Mit dem Tod des Vaters sei die Hoffnung für Felix jedoch gesunken. Auch für den Polizisten ist die Geschichte emotional. „Ich war vom ersten Tag an mit diesem Fall betraut. Da bekommt man natürlich einen anderen Bezug dazu, gerade wenn man auch Kontakt zu den Angehörigen hatte.“

Zahl der Vermissten steigt

Im Südwesten ist die Zahl der Vermissten zuletzt sprunghaft angestiegen. Anfang Januar dieses Jahres waren 1297 Menschen verschwunden, wie ein Sprecher des Landeskriminalamts (LKA) in Stuttgart erklärte. Zum Vergleich: Am 1. Januar 2015 waren 807 Personen als vermisst gemeldet. Sowohl die Anzahl der Jugendlichen als auch die der Kinder habe sich erhöht. Allerdings haben dazu nicht nur die klassischen Vermisstenfälle beigetragen. Es gibt laut LKA auch einen Zusammenhang mit dem Anstieg der Flüchtlingszahlen.

Diese Tendenz ist bundesweit erkennbar: Weil zuletzt mehr unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach Deutschland kamen, ist die Zahl der vermissten Jugendlichen dem Bundeskriminalamt (BKA) zufolge stark gestiegen. Die Ermittler vermuten, dass viele von ihnen etwa zu Verwandten weiterziehen, möglicherweise ins Ausland.

Der älteste Vermisstenfall aus Baden-Württemberg reicht bis in die 1960er-Jahre zurück. Es handelt sich um das Verschwinden eines Erwachsenen, der sich aller Wahrscheinlichkeit nach umbrachte. Viele Vermisste tauchen den Ermittlern zufolge recht schnell wieder auf. Jugendliche verschwinden demnach oft aus Liebeskummer oder aus Angst vor den Konsequenzen schlechter Schulnoten.

Fälle wie die des kleinen Felix, die jahrelang ungelöst bleiben, sind selten. Dieser Fall sei ganz besonders, weil es nicht nur um einen vermissten Zweijährigen gehe, sagte Schätzle aus Mannheim. „Da steckt viel mehr dahinter: Getrennt lebendes Ehepaar, ein Kind, das zwischen den beiden steht - es gibt viele Parallelen zur normalen Gesellschaft.“ Umso schlimmer sei es, wenn einer der Partner das Kind mitnehme, Mutter und Großeltern im Unklaren lasse und der Verbleib des Jungen ein Rätsel bleibe.

Auch die damals 13 Jahre alte Maria ist drei Jahre nach ihrem Verschwinden in Freiburg noch immer nicht wieder aufgetaucht. Es fehle weiterhin jede Spur, sagte eine Polizeisprecherin. Auch der 40 Jahre ältere Begleiter des Mädchens bleibe untergetaucht. Maria ist seit dem 4. Mai 2013 auf der Flucht, gemeinsam mit ihrer Internetliebe aus Nordrhein-Westfalen. Die beiden lernten sich in einem Chat kennen.

Wenn jemand vermisst wird, sei für die Angehörigen das schlimmste die ständige Ungewissheit, sagte Josef Hiller von der Opferhilfe-Organisation Weißer Ring. „Sie wollen wissen, was mit demjenigen los ist - und immer bleibt die Frage nach dem Warum. Die zermürbt unendlich.“ Angehörigen schwirre ständig die Frage im Kopf herum, ob sie noch irgendetwas tun könnten - und ob sie vielleicht selbst Schuld an dem Verschwinden seien. Der Leiter der Außenstelle Ravensburg des Weißen Rings sagte: „Der Mensch will Gewissheit, selbst wenn es der Tod ist.“ Angehörige von Vermissten seien auch Opfer. Hiller rät ihnen wegen des Traumas zu einer Psychotherapie.

Zahlen und Fakten zu Vermisstenfällen

Nach den Erfahrungen des Bundeskriminalamtes (BKA) erledigen sich rund 50 Prozent der Vermisstenfälle innerhalb der ersten Woche. Nach einem Monat sind es den Ermittlern zufolge bereits mehr als 80 Prozent.

Der Anteil der Menschen, die länger als ein Jahr vermisst werden, liegt bei nur etwa drei Prozent. Knapp zwei Drittel aller Vermissten sind männlich. Bei ungefähr der Hälfte der Fälle handelt es sich um Kinder und Jugendliche.

In Deutschland waren am 1. Juli dieses Jahres laut BKA 8283 Menschen als vermisst gemeldet, davon 721 unter 14-Jährige und 3720 Jugendliche.

Im Südwesten waren es nach Angaben des Landeskriminalamtes (LKA) am 1. Januar dieses Jahres 1297 als vermisst gemeldete Menschen.