Von Hermann Neu

Stuttgart - Landesregierung und Kommunen sind sich über die Verteilung finanzieller Lasten noch nicht einig. In einem Brief an die Regierung weisen Städte, Gemeinden und Kreise darauf hin, durch die Einigung beim Länderfinanzausgleich habe sich die Geschäftsgrundlage geändert. Der Griff in kommunale Kassen sei unnötig. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sieht das anders.

Landkreistag, Städtetag und Gemeindetag im Südwesten erklären in dem gestern veröffentlichten Schreiben, die Bund-Länder-Einigung müsse der Auftakt für eine neue Verhandlungsrunde zwischen Land und Kommunen sein. Die Länder bekämen durch den Erfolg beim neu geregelten Finanzausgleich mehr Geld. Damit sei das Argument der Landesregierung entkräftet, dass der Griff in kommunale Kassen notwendig sei, „um ein vorgebliches strukturelles Defizit im Landeshaushalt auszugleichen“. Knapp eine Milliarde mehr für Baden-Württemberg biete genügend Möglichkeiten, Lücken zu schließen. Daher müsse Finanzministerin Edith Sitzmann (Grüne) den Kommunen das ihnen nach dem geltenden Finanzausgleich zustehende Geld belassen.

Kretschmann sagte dagegen gestern in Stuttgart, die Neuordnung der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern trete erst im Jahr 2020 in Kraft. Die Kommunen seien daher mit ihrem Brief „einem Irrtum aufgesessen“. Schon sicher könne er aber sagen, dass die Kommunen „in der Gesamtbetrachtung mehr Geld haben werden“. Er erwarte daher eine Einigung, „wenn wir Missverständnisse ausräumen“. Laut Kretschmann werden 23 Prozent der Steuereinnahmen an die Kommunen fließen, im laufenden Jahr seien dies 10,7 Milliarden Euro. Zuvor hatte das Land allerdings bereits 300 Millionen als Sparbeitrag abgezogen.

Die Kommunen ziehen die Summe von 10,7 Milliarden nicht in Zweifel. Sie sei aber „nur die halbe Wahrheit“, kritisiert der Präsident und Hauptgeschäftsführer des Gemeindetags, Roger Kehle. Das Land schöpfe „die Zuwächse allein ab“. Dass die Kommunen einem Irrtum aufgesessen seien, weist er zurück. Auch die Kommunen wüssten, dass die Einigung erst 2020 gelte. Städte, Gemeinden und Kreise wollten jedoch „eine Vereinbarung über die ganze Legislaturperiode“. Man habe „nie nur über 2017 gesprochen“.

In der Summe gehe es dabei um drei Milliarden Euro gerechnet über fünf Jahre. Dabei hätten die Kommunen immer gesagt, dass bereits der pro Jahr zunächst zugrunde gelegte Abzug von 300 Millionen zu viel sei. Das Land will dennoch weitere 300 Millionen.

In diesen Verhandlungen sei „Bewegung nicht zu erkennen“, kritisierte Kehle. Bewegung gebe es bei der Integrationspauschale, die das Land zahlen soll, sowie beim Sanierungsfonds aus Steuermehreinnahmen. Eine Einigung sei aber möglich, die Gespräche müsse man weiterführen. Die Verhandlungen seien „nicht wegen Unbelehrbarkeit“ hart: Vielmehr hätten viele Städte - darunter auch Esslingen - Probleme mit ihrer Haushaltslage. Nahezu alle größeren Städte müssten deshalb Schulden machen, erläutert Kehle. Der Steuerzuwachs müsse daher auch ihnen zugute kommen.

Die möglichen Auswirkungen der Einigung von Bund und Ländern bei der Finanzverteilung bewertet der Chef des Gemeindetags zurückhaltend: Zwar werde die - im Bundesdurchschnitt seit langem überdurchschnittliche - Finanzkraft der Kommunen im Südwesten zu 75 statt bisher zu 64 Prozent angerechnet. Man müsse jedoch zunächst „mit Spezialisten genau hinschauen“, um die finanziellen Folgen bewerten zu können. Zu einer teilweise als eisig beschriebenen Gesprächsatmosphäre in den Verhandlungen von Land und Kommunen will sich der Präsident des Gemeindetags nicht äußern. „Wir argumentieren nicht gegen Personen, sondern in der Sache.“

Durch die Neuordnung der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern wird der Südwesten laut Kretschmanns weiteren Angaben netto um 568 Millionen Euro entlastet. 366 Millionen davon entfallen auf das Land, 202 Millionen auf die Kommunen. Der „große Wermutstropfen“ dabei sei, dass 400 Millionen an Entlastung durch die Neuordnung bereits in die Etatplanung eingepreist sind - so bleibt ein Fehlbetrag von 34 Millionen.

Der Ministerpräsident erklärte zum Haushaltsentwurf für 2017, trotz höherer Steuereinnahmen sei es mit Blick auf das niedrige Zinsniveau sinnvoller, Infrastruktur wie Straßen oder Gebäude zu sanieren, statt Schulden zu tilgen. Deshalb soll auch die Landeshaushaltsordnung geändert werden, die ab einem gewissen Steuerplus Schuldentilgung vorschreibt. Kopfzerbrechen am Etat 2017 bereitet Kretschmann weiter die Personalsituation mit einem Plus von allein 381 Stellen bei der Polizei sowie in geringerem Umfang bei der Justiz und im Strafvollzug.