Von Monika Wendel

Stuttgart - Die ersten 100 Tage der grün-schwarzen Landesregierung sind gerade erst vorbei, da muss erneut das Krisenmanagement ran. Zum zweiten Mal lösen geheimgehaltene Nebenabsprachen zum Koalitionsvertrag harsche Kritik aus, die auf den grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann zielt. Der 68-Jährige, der stets Offenheit und Transparenz hochhält, muss sich vorwerfen lassen, er führe mit Geheimvereinbarungen Parlament und Öffentlichkeit hinters Licht.

Der Regierungschef und sein Vize, Innenminister Thomas Strobl (CDU), reagieren am Wochenende - noch mitten in der parlamentarischen Sommerpause - mit einem langen Verteidigungsbrief. Nach Meinung der Opposition ist das Image Kretschmanns, der als einer der beliebtesten Politiker in Deutschland gilt und sogar fürs Bundespräsidentenamt im Gespräch ist, ramponiert. Von Absprachen hinter den Kulissen hatte der Grüne ja vor vier Wochen bereits gesprochen: „Ich mauschele schon immer.“

Jetzt starten Kretschmann und Strobl einen Erklärungsversuch. Sie schreiben auf mehr als zwei Seiten an die Landtagsabgeordneten von Grünen und CDU unter anderem: „Es ist richtig, Demokratie braucht Transparenz. Aber Demokratie braucht auch Vertraulichkeit und geschützte Räume, sonst ist sie nicht funktionsfähig.“ Nebenabreden dienten auch dem Zusammenhalt der einst ungewollten Koalition, heißt es in dem Brief. Nebenabreden seien letztlich aber lediglich Willensbekundungen, das Königsrecht des Parlaments, über den Haushalt zu entscheiden, könnten diese nicht außer Kraft setzen.

Bei den jetzt durch einen Bericht der „Südwest Presse“ bekannt gewordenen Vereinbarungen, die im Koalitionsvertrag so nicht auftauchen, geht es um unbequeme Sparziele. Vertraulich verabredeten Strobl und Kretschmann laut dem Bericht einen Abbau von 5000 Stellen bis 2020, das ergebe in der Endstufe jährliche Einsparungen von 250 Millionen Euro. Einschnitte für Beamten und Kommunen sollen kommen, die Anhebung der Grunderwerbssteuer ist genannt. Auch CDU-Abgeordneten schmeckt das nicht. Die Gewerkschaft Verdi spricht wegen der Stelleneinsparungen von einem Skandal. Der DGB schimpft: „Die offenbar verabredeten Einsparungen übertreffen unsere schlimmsten Befürchtungen.“

Kretschmann, der ja gerade weg will von einer Hinterzimmerpolitik, gerät zum zweiten Mal in Erklärungsnot. Vor vier Wochen waren Nebenabsprachen ans Licht gekommen. Anders als jetzt entschlossen sich Grüne und CDU nach vehementen Vorwürfen, das Papier doch zu veröffentlichen. Kretschmann räumte damals ein, es gebe weitere Nebenabsprachen zur Haushaltskonsolidierung. Details nennt die Regierung bis heute aber nicht und verweist darauf, ihre Verhandlungsposition dürfe nicht geschwächt werden.

Massiv geschwächt ist aus Oppositionssicht das Vertrauen in Grün-Schwarz. SPD und FDP bringen sogar einen Untersuchungsausschuss ins Spiel.

Nach der Lektüre des Schreibens von Kretschmann und Strobl schimpft FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke: „Dieser Brief ist der totale Offenbarungseid. Kretschmann und Strobl haben die Abgeordneten der Regierungsfraktionen betrogen und hintergangen.“ Es entstehe der Eindruck, Kretschmann wolle einen „autokratischen Machtanspruch“ aufbauen, meint die SPD. Bei Twitter wettert auch SPD-Bundestagsfraktionschef Thomas Oppermann: „Was ist mit Grünen los? Im Bundestag fordern sie brutalstmögliche Transparenz, in BaWü regieren sie mit #Geheimvereinbarungen= #Doppelmoral.“