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Von Hermann Neu

Stuttgart - Da stehen sie nun vor den Mikrofonen und verkünden exakt eine Woche nach ihrem überraschenden Vorstoß zur Änderung der Abgeordnetenpensionen den Rückzug. Zu kräftig war der Protest in der Öffentlichkeit geworden und zu sehr hatte sich auch intern bei Grünen, CDU und SPD Widerstand formiert. Nur FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke scheint zufrieden - und amüsiert über die Verrenkungen, die seine Amtskollegen vollführen. Rülke hatte schon die Reform von 2008 für Murks gehalten und den umstrittenen Korrekturversuch vom vergangenen Freitag nicht unterstützt. Nun will der Liberale an einem möglichen Konsens mitarbeiten. Ein wichtiges Zeichen, dass die vier Fraktionen zusammenarbeiten und so ein Zeichen gegen die AfD setzen.

Die drei anderen Fraktionsvorsitzenden haben es da schon schwerer: „Wir haben verstanden und bessern nach“, verspricht Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz. Auch SPD-Fraktionschef Andreas Stoch redet Klartext: „Zeigen Sie hier im Raum einen, der noch nie einen Fehler gemacht hat“. Wahrscheinlich hätte man sich bei der im Endeffekt gründlich missglückten Aktion „nicht vom Thema Haushalt so drängen lassen sollen“, sagt er. Doch das ist wohl nur die halbe Wahrheit.

Überraschend ist und bleibt, wie es bei der Pensionsentscheidung überhaupt so weit kommen konnte: Politische Frühwarnsysteme haben ganz offensichtlich versagt oder waren nicht vorhanden. Etwa bei der Einschätzung, wie der Fakt wirkt, dass Abgeordnete, die vor neun Jahren noch heldenhaft verkündet hatten, dass sie fortan privat fürs Alter vorsorgen, nun plötzlich davon abrücken wollen. Laut dem am vergangenen Freitag beschlossenen Gesetz, das nun ins Leere läuft, hätten sie zwischen weiterhin privater Vorsorge und der unter aktuellen Bedingungen weit höheren Staatspension entscheiden können. Mit wohl ziemlich eindeutigem Ausgang.

Folgen der Nullzinsphase

Damit aber wäre ein zentraler Baustein der 2008 beschlossenen Parlamentsreform herausgebrochen - hatte es damals doch geheißen, die Diäten müssten beim Übergang vom Teilzeit- zum Vollzeitparlament um ein Drittel steigen, damit die Abgeordneten samt einer Pauschale selbst für das Alter vorsorgen können. Doch die vergangenen Jahre mit immer niedrigeren Zinsen haben solche Konzepte ad absurdum geführt - nicht nur für Abgeordnete. In keinem Hinterkopf hat sich jedoch offenbar bei der beabsichtigten Neuregelung der Gedanke gerührt, dass der Normalbürger, dem Staat und Wirtschaft einst ebenfalls die private Zusatzrente empfohlen haben, mindestens genauso unter der Niedrigzinsphase zu leiden hat - der Weg in eine Staatspension aber steht ihm nicht offen.

Mindestens genauso fatal hat gewirkt, in welchem Schweinsgalopp die Aktion über die Bühne ging. Von der offiziellen Vorstellung des Konzepts am vergangenen Dienstag bis zur Verabschiedung des entsprechenden Gesetzes im Landtag am Freitag. Das war so noch bei keinem Vorhaben der Fall.

Doch die Strategie, Fakten zu schaffen und zu hoffen, dass alsbald Gras über die Sache wächst, ist nicht aufgegangen. Schon die zuletzt aufbrandende Debatte über eine möglichen Volksinitiative, um das Thema erneut ins Parlament zu bringen, hat die Drohkulisse real werden lassen: Dann wäre der Pensionsstreit über Monate hinweg ein Thema gewesen - und die Distanz zur Bundestagswahl wäre immer kürzer geworden.

Allmählich hat es den Verantwortlichen dann gedämmert, dass ihr Vorgehen ein aktiver Beitrag zur Politikverdrossenheit und ein Förderprogramm für die rechtspopulistische AfD geworden ist.

Nun soll eine Kommission retten, was wohl tatsächlich zu retten ist. Wie das Gremium genau aussehen soll, ist verständlicherweise noch unklar. Verfassungs- und Politikwissenschaftler sollen ebenso vertreten sein wie Verbände wie der Steuerzahlerbund, der DGB und Experten für Versorgungsfragen. Vorschläge soll das Gremium dann etwa Ende des Jahres vorlegen - die Hürde Bundestagswahl wäre damit geschafft.

Gesamtpaket wird nicht aufgerollt

Bei der Expertenbewertung soll die Altersversorgung im Fokus stehen. Das gesamte Paket - etwa mit der Komponente höherer Mittel für Mitarbeiter - soll nicht mehr auf den Prüfstand. Danach hatte es dem Vernehmen nach zunächst in der Grünen-Fraktion ausgesehen. Die Kommission soll aber bei weiteren möglichen Fragen „mal nach links, mal nach rechts“ schauen, erklärt Grünen-Vormann Andreas Schwarz. Baden-Württemberg werde auch weiterhin „zu den drei günstigsten Parlamenten“ gehören, argumentiert CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart. Um die 8,70 Euro sind es lediglich pro Bürger und Jahr - dennoch sind die Wogen so hochgegangen.

Geahnt hat es offenbar auch der Ministerpräsident. Winfried Kretschmann, im Jahr 2008 als Grünen-Fraktionschef an der Parlamentsreform und der Reform der Abgeordnetenpensionen beteiligt, will den Fraktionsvorsitzenden am Morgen nicht in den Rücken fallen. Wenige Stunden vor deren Auftritt verkündet er in der wöchentlichen Regierungs-Pressekonferenz, dass er die Kritik aber nachvollziehen könne. „Im Kern war das aus meiner Sicht richtig, wie wir das damals gemacht haben“, steht er weiter zur Reform von 2008. Die Niedrigzinsphase, die das damalige Konzept in Zeilen widerlegt, habe aber auch niemand kommen sehen, sagte er ebenso wie Wissenschaftsministerin Theresia Bauer, die damals als parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen an den Verhandlungen beteiligt war.